Gefestigt, aber keine Demokratie

In Österreich gibt es keine wirkliche Gewaltentrennung, Wahlen geraten zur Farce. Die Chinesen mögen das.

Wenn überbesorgte Zeitgenossen aus dem In- und Ausland hysterisch über die akuten Gefährdungen der österreichischen Demokratie fantasieren – zuletzt geschah das in erhöhter Frequenz anlässlich des zehnjährigen „Wende-Jubiläums“ –, pflegt man ihnen gelassen zu antworten: Na, na, liebe Leute, mag schon sein, dass man mit Herrn Strache und seiner Politik keine Freude haben kann, aber, bitte sehr, Österreich ist eine gefestigte Demokratie.
Die Antwort ist richtig in all jenen Fällen, in denen publizistische Wichtigmacher ihre Uninformiertheit durch moralische Empörung zu tarnen versuchen. Die zur moralischen Hyperventilation neigende ehemalige Wiener „Spiegel“-Korrespondentin Marion Kraske hat das im jüngsten „Club 2“ exemplarisch vorgeführt. Vielleicht glaubt sie ja wirklich, dass die paar Rechtsextremen im Parlament und der ehemalige Neonazi als Bürgermeisterkandidat eine Bedrohung dessen sind, was an österreichischer Demokratie übrig blieb.


Die Antwort ist nur sehr bedingt richtig, wenn man sich ernsthaft mit dem Status der österreichischen Demokratie beschäftigt. Eines zumindest ist sicher: „Gefestigt“ trifft auf das Österreich der Nachkriegszeit viel eher zu als „Demokratie“. Die Fortsetzung des Ständestaates mit den Mitteln der Sozialpartnerschaft hat zwar tatsächlich für Festigkeit gesorgt: Unser System ist aus Beton. Aber sehr demokratisch ist es nicht.


Eine der schönsten Szenen auf der jüngsten China-Reise unseres Bundespräsidenten war das Pressebriefing der offiziellen Delegation nach den Gesprächen mit Ministerpräsident Wen Jiabao und Parlamentspräsident Wu Bangguo. Wer sich an der Bezeichnung „Parlamentspräsident“ für den Vorsitzenden eines „Volkskongresses“ stößt, dessen Mitglieder ihren Sitz ausschließlich dem Gutdünken der allmächtigen Partei verdanken, ist schon am Punkt: Hier unterscheiden sich der nationale Volkskongress der Volksrepublik China und der Nationalrat der Republik Österreich nicht substanziell.


Man habe, berichtete Heinz Fischer an jenem Morgen in Shanghai, mit Wu auch über dessen Äußerung gesprochen, wonach es in China „niemals zu einer Gewaltentrennung“ kommen werde. Zur Berichterstattung über diesen Punkt lud der Bundespräsident Fritz Neugebauer ein, den Zweiten Nationalratspräsidenten. Wer hätte auch besser über das Faktum einer nicht vorhandenen Gewaltenteilung sprechen können als die fleischgewordene österreichische Sozialpartnerschaft?


Neugebauer referierte also Wu Bangguos Meinung zum Thema Gewaltenteilung. Kurzfassung: Undenkbar für China, weil stabilitätsgefährdend. Wer Neugebauers mild-wissendes Lächeln sah, begriff die mehrmals betonte Herzlichkeit, mit der die österreichische Delegation von der chinesischen Staatsspitze empfangen wurde: Man verstand sich.
Genau so, wie Wu Bangguo die Allmacht der Kommunistischen Partei Chinas als unerlässlichen Anker der Stabilität des Riesenreiches dargestellt hat, beschreiben ja auch Neugebauer, Fischer & Co. die Sozialpartnerschaft: als jene Säule der Stabilität, auf die sich das Land in den Stürmen der Globalisierung stärker verlassen kann als auf radikaldemokratische Experimente wie ein Mehrheitswahlrecht, im Zuge dessen nicht mehr die Parteien und Kammern, sondern die Wähler entscheiden würden, wer im Nationalrat sitzt und wer nicht.

Karl Popper zählte die Möglichkeit, eine Regierung zu wählen und wieder abzuwählen, zu den Grundanforderungen an ein System, das sich demokratisch nennen will. Das Verhältniswahlrecht, das dieser Forderung nur begrenzt gerecht wird, ist natürlich kein singulär österreichisches Phänomen. Die Kombination mit einer ständestaatlichen Institutionenarchitektur schon.


Immer mehr österreichische Politiker agieren jetzt nach der Devise „Auch schon egal“. Also sprechen sie auch gleich den Prinzipien der direkten Demokratie Hohn. Der Bundeskanzler fordert „verbindliche Volksbefragungen“, der sehr absolut regierende Wiener Bürgermeister führt eine aufreizend absurde Volksbefragung als Wahlkampfveranstaltung durch, und der Staatsfunk lässt jene Mitglieder des Sinnlosgremiums „Publikumsrat“, die auch dem Politkommissariat namens „Stiftungsrat“ angehören sollen, per Fax wählen.
Angesichts des Zustandes der österreichischen Demokratie kann man verstehen, dass die Kritik Österreichs an China eher herzlich ausfällt. Welthistorisch heißt das „Wandel durch Annäherung“: Gut möglich, dass Peking seine demokratische Öffnung demnächst durch eine verbindliche Fax-Volksbefragung dokumentiert.

michael.fleischhacker@diepresse.com

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