Ein Rathausbalkon für den Führer

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Wien 1938. Wie gnadenlos effizient die Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten in der Stadt Wien war, zeigt eine Ausstellung in der Wienbibliothek des Rathauses.

Wissen die Wiener, was sie an ihrer Wienbibliothek haben? Zu den wichtigen historischen Gedenktagen wird hier im Rathaus ein dichtes Ausstellungsprogramm geboten und von üppigen Katalogbüchern begleitet, an denen man sich nicht sattlesen kann. Wie dieses Mal. 2018 war die Qual der Wahl groß: Man entschloss sich, an die Umfärbung des ehemals Roten Wien durch die braunen Machthaber im März 1938 zu erinnern, das wenig bearbeitete Thema brachte überraschend viele neue Ergebnisse.

Seit den profunden Forschungen von Gerhard Botz in den 1980er-Jahren waren nämlich die Auswirkungen der NS-Diktatur 1938 auf die Wiener Stadtverwaltung kaum untersucht worden. Kamen die Mitarbeiter des Rathauses vom ersten Tag der diktatorischen Umfärbung an ihrer „Pflicht“ gegenüber den neuen Herren nach, waren sie besonders „elastisch“, oder gab es Nonkonformität, gar Widerstand? Oder waren die Handlungsspielräume vom ersten Tag an viel zu eng dafür?

Ein Erlass vom 8. März 1938 verweist auf die gespannte Stimmung in der Gemeindeverwaltung: „Das Tragen von Hakenkreuzen und anderen parteiamtlichen Abzeichen der NSDAP und ihren Formationen, von Wimpeln und dergleichen, ebenso wie der Wortgruß ,Heil Hitler!‘ sind nach den allgemein geltenden Vorschriften verboten“, heißt es hier. Doch am Abend des 11. März, einem Freitag, war alles anders: Hundert Mann der bewaffneten Rathauswache ließen nach Büroschluss die Gitter herunter, das Gebäude war aber bereits von Scharen von Nationalsozialisten umstellt, die die Übergabe verlangten. 160 Angehörige der SA brachten einen fingierten Regierungsauftrag, das Rathaus zu öffnen und mit Hakenkreuzen zu beflaggen. Daraufhin legte die Wache im Arkadenhof widerstandslos die Waffen nieder und öffnete die Tore. Das Rathaus, das wichtigste Verwaltungs- und Repräsentationsgebäude Wiens, war gefallen.

Schon am 13. März wurde einer der Austro-Nazis, Hermann Neubacher, ein Vertrauter von Arthur Seyß-Inquart und schon die längste Zeit illegales NSDAP-Mitglied, neuer Wiener Bürgermeister, Vize wurde ein SS-Führer. Gemeinderat, Bezirksvorsteher und Bezirksräte wurden aufgelöst, Juden ausgeschlossen. Spitzenbeamte wurden ausgetauscht oder erhielten von der Partei einen „Aufpasser“ zugeteilt: eine schöne Aufstiegsmöglichkeit für Parteimitglieder aus niederen Besoldungsstufen.

„Zuckerln“ für die Wiener Bevölkerung

Am 16. und 17. März wurden alle Bediensteten des Magistrats auf den „Führer“ vereidigt: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ Wer den Eid nicht ablegte, wurde suspendiert. Gleichzeitig wurden die Beamten mit willkürlichen Eingriffen von Parteistellen konfrontiert. SA-Verbände requirierten etwa Büchereien, Amtsräume, Schulen. Der Magistrat insgesamt wurde entmachtet, die Landeshoheitsrechte Wiens wurden auf null reduziert. Bernhard Murauer weist im Katalogbuch auf die Spannung hin zwischen dieser realen Entmachtung und den Räumen des Rathauses, das in all seinen Dekors und Ornamenten die alten geschichtlich begründeten Autonomieansprüche des Wiener Bürgertums selbstbewusst zur Schau stellt.

Wien sollte neugestaltet, die Bevölkerung durch „Zuckerln“ wie Senkung des Gaspreises und der Straßenbahntarife gewonnen werden. Wie manisch entwarfen die Stadtspitzen Pläne für die Stadt, vom Bau eines neuen Hafens („Hamburg des Ostens“) bis zu Trabantenvorstädten, Auflockerung der Großstadt durch Gartensiedlungen usw. Realiter wurde gar nichts davon durchgezogen. Vom Aufbau eines hochwertigen Kunstlebens und einer neuen Wiener Medizinischen Schule konnte angesichts der Vertreibung der Juden schon gar keine Rede sein. Zu den Wiener Festwochen spielte man im Arkadenhof des Rathauses das „Frankenburger Würfelspiel“, ein völkisches NS-Propagandastück.
Niederösterreichische Gemeinden fielen jetzt an Wien, insgesamt 97, „Groß-Wien“ hatte nun 26 Bezirke. Bis zum „Ostmarkgesetz“ vom 1. Mai 1939 war die nationalsozialistische Stadtverwaltung konsolidiert, an der Spitze Wiens stand ein Reichsstatthalter, Josef Bürckel, er war zugleich Gauleiter und regionaler Parteiführer: Der Bürgermeister war degradiert, die Einheit von Partei und Staat vollzogen, die Autonomie der Stadtverwaltung zerstört.

Propaganda auf dem Rathausplatz

Schon lang vor 1938 war der Rathausplatz ein Versammlungsort für Massenkundgebungen, nicht nur am 1. Mai. Nun galt es, den Platz dem neuen Regime zu unterwerfen, auch optisch, etwa durch Hakenkreuzfahnen und monumentale Adlerplastiken. Die Parteien, die hier ihre großen Aufmärsche gehabt hatten, Christlichsoziale und Sozialdemokraten, waren inzwischen verboten oder ausgeschaltet. So unternahm man sogar eine geografische Umorientierung. Die Tribüne für die Redner wurde vor dem Burgtheater aufgestellt, sodass die Menge gezwungen war, dem Rathaus den Rücken zuzukehren. Hier wurden die Mitglieder der Verwaltung in Massenveranstaltungen über ihre „hohe Mission“ und die Schuldigkeit gegenüber dem Dritten Reich belehrt.
Hitlers größter Auftritt im Rathaus war am 9. April 1938 um 12 Uhr Mittag, er diente der Propaganda für die Volksabstimmung am nächsten Tag. Das Rathaus besaß keine Altane, von denen aus man sich den Massen präsentieren konnte (anders als die Hofburg). Also griff man zu baulichen Änderungen und baute einen auf den Rathausplatz hinausragenden Balkon an die Turmloggia an, von dem aus Hitler sprach und die Ovationen entgegennahm.

Der Verkehr war lahmgelegt an diesem Tag, alle öffentlichen Gebäude hissten die Hakenkreuzfahne. Die Rede wurde über Großlautsprecher am Hauptturm des Rathauses und Lautsprecher an der Ringstraße übertragen. Dass der Balkon selbst nur ein Holzprovisorium war, sah man wegen der Verhüllung durch eine wuchtige Hakenkreuzfahne nicht. Dieser Auftritt musste in Stein gemeißelt werden. Die steinerne Ausführung eines halbrunden Balkons wurde angebracht, direkt oberhalb eines Reiterreliefs, das Kaiser Franz Joseph zeigt. Zwei Bronzetafeln in der Nische verewigten die Rede Hitlers. Die Tafeln befanden sich bis zum Kriegsende in eigenen Vertiefungen im Mauerwerk, sie sind bis heute erkennbar.

Der Anpassungsdruck auf die Verwaltung war hoch. Die Disziplinierung gelang durch die Verschärfung des Dienstrechts und rigorose Kontrollen des politischen Verhaltens. Ausstellungskurator Christian Mertens führt 1091 Entlassungen an, etwa die Hälfte davon betraf Juden, die andere politisch nicht Konforme, 4,5 Prozent, also erstaunlich wenig. Eine organisierte Form des Widerstands ist erst nach 1940 nachweisbar, am stärksten bei der Berufsfeuerwehr und den E-Werken. Flog das auf, wurden die Betroffenen exekutiert.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2018)

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