Seit den Vorwürfen gegen Karinal Groër sind Angaben über sexuellen Missbrauch in der Kirche nicht mehr tabu.
Ein ganz und gar unverkrampfter, sachgerechter Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch in den eigenen Reihen gelingt der katholischen Kirche auch heute noch nicht. So wird beispielsweise die Anlaufstelle für Opfer von Priestern oder Laienmitarbeitern im Burgenland allen Ernstes „Kommission für besondere Fälle“ genannt.
Aber immerhin: Es gibt seit den Vorwürfen gegen den mittlerweile verstorbenen Kardinal Hans Hermann Groër in jeder Diözese Österreichs eine einschlägige Institution. Und es gelingt mittlerweile, was bisher absolut tabu war: Angaben über die Zahl der Fälle zu erhalten. Acht Fälle sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche Österreichs sind im vergangenen Jahr dokumentiert. Für die einen mag das eine überraschend geringe, für andere eine erschreckend hohe Zahl sein. Die Wahrheit dürfte – leider, leider wenig originell – in der Mitte liegen.
Wie gefährlich ist die katholische Kirche also? Genauer: Ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, durch einen Priester oder Mitarbeiter der katholischen Kirche sexuell missbraucht zu werden? Das subjektive Gefühl mag im Wissen um jüngste Fälle in Deutschland, Irland oder den USA rasch Ja sagen. Die Mehrheit der Opfer sexuellen Missbrauchs kennen aber andere Täter: den Vater, den Stiefvater, Opa, Onkel. Das ist ausdrücklich nicht als Entschuldigung, nicht als Verniedlichung des Kirchenproblems, sondern als Beitrag zur Versachlichung zu lesen. Augen weit(er) auf daher in der katholischen Kirche. Und überall – auch im allerengsten Umfeld.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2010)