Wenn Algorithmen die Welt regieren

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Fremdbestimmtheit. Ein paar Millionen US-Amerikaner finden sich gerade damit ab, bei der vergangenen Präsidentenwahl von Facebook manipuliert worden zu sein. Als ob das etwas Neues wäre. Da geht noch viel mehr.

Was dachten wir nicht immer, wie rational wir sind. Wie vernünftig, unabhängig und frei in Gedanken, Worten und Werken. Und dann das. Der CEO von Cambridge Analytica prahlte damit, Millionen Amerikaner bei der jüngsten Präsidentenwahl ferngesteuert zu haben. Warum so überrascht? In einer Welt, in der Algorithmen regieren, ist das erst der Anfang.

Der Historiker Yuval Noah Harari, der sich viel mit diesem Tema beschäftigte, geht von drei Prämissen aus:

1.  Wir Menschen glauben nur, kompakte Individuen (lat. in-dividuus, un-teilbar) zu sein. In Wahrheit sind wir eine Ansammlung mehrerer Teilidentitäten und innerer Stimmen, die ihrerseits von Genen, Biochemie und Umweltbedingungen determiniert sind.

2.  Diese lassen sich, auch wenn wir das gar nicht gern hören, als Algorithmen darstellen. Daraus folgt, dass jede Entscheidung, die wir treffen, berechenbar und vorhersehbar ist, niemals aber frei.

3.  In weiterer Konsequenz kann uns daher ein externer Algorithmus besser kennen als wir uns selbst, wenn er nur möglichst viele Daten von uns hat. Zum Unterschied zum fehleranfälligen Menschen funktioniert er stets perfekt und fehlerfrei. Da er uns übertrifft, ist es nur logisch, dass wir ihm immer mehr Verantwortung für unsere Lebensentscheidungen übertragen.

Eine Utopie? Das war es schon vor Cambridge Analytica nicht. Schauen wir zurück, wie es so weit kommen konnte, dass die Algorithmen schrittweise die Kontrolle über unser Leben, unsere Lieben und unsere Karrieren übernehmen konnten.

Wie alles begann

Ihren Anfang nahm die Entwicklung in der Medizin. Sie verfolgte das hehre Ziel, menschliche Defizite mit elektronischer Unterstützung zu kompensieren. Das waren dann denkende Prothesen oder implantierte Sensoren, die Menschen mit Handicap halfen, ihre Benachteiligung auszugleichen.

Nur zu gern übernahm auch der nicht gehandicapte Teil der Menschheit die neuen Möglichkeiten. Im Bereich der Körperdaten war das etwa das Fitnessarmband, die Schrittzahl, die Überwachung des Pulses und Schlafs, im Bereich der Arbeitswelt waren es unverzichtbare elektronische Tools von Smartphone bis Cloud und im sozialen Bereich die wohlbekannten Plattformen von Instagram bis Parship, denen man auch seine intimsten Gewohnheiten anvertraute.

Alle diese Algorithmen ließen wir nur zu gern in unser Leben, weil sie uns vordergründig nützen. Im Hintergrund schrieben sie im ersten Schritt Daten nur mit, weil sie sich wunderbar weiterverkaufen ließen. Im zweiten Schritt lernten sie, Befehle auszuführen („Alexa, schalte das Radio ein“). Im dritten Schritt – hier stehen wir gerade – manipulieren sie uns. Facebook weiß nach 70 Likes mehr über eine Person als deren bester Freund, nach 150 Likes mehr als die Mama und nach 300 Likes mehr als der Partner. Dieses Wissen will zu Geld gemacht werden.

Gehackte Menschheit

Warum nicht künftig dem Algorithmus gleich von vornherein die Entscheidung über den nächsten Partner, den nächsten Job, die nächste Wahl überlassen? Denken wir über den Einzelnen hinaus, steuern Algorithmen im nächsten Schritt ganze Menschengruppen. Das können sie schon heute: Die Navigations-App Waze lenkt einen Teil der Autofahrer links um einen Stau herum, den anderen Teil rechts.

Als Nächstes vernetzen sich die Algorithmen. Alexa, Siri und Cortana reden dann miteinander, machen sich untereinander Bewerbungen und Dates für uns aus und ersparen uns so jede Menge Flops.

Der Preis der Bequemlichkeit

Das Schlaraffenland hat natürlich einen Preis: die Privatsphäre. Die Algorithmen brauchen Zugang zu allen unseren Daten, Handys, Mails, Facebook-Accounts, Finanz-, Gesundheits- und Smarthome-Daten, wirklich allen. Je mehr Daten, desto besser die Entscheidungen. Natürlich kann man das ablehnen, aber es hat Folgen. Es wird dann so gut wie unmöglich, in dieser Welt noch mitzuhalten (so wie Smartphoneverweigerer schon heute zurückbleiben).

Bleibt noch eine letzte philosophische Frage: Wie lang werden sich Alexa, Siri und Cortana dann noch mit der unnütz gewordenen Menschheit aufhalten?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2018)

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