Baugeschichte Karl Marx Hof: Das grüne Erbe des Roten Wien

Monika Platzer vom AzW vor dem Karl Marx Hof.
Monika Platzer vom AzW vor dem Karl Marx Hof.(c) DIMO DIMOV
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Unterwegs im Karl Marx Hof mit Monika Platzer vom Architekturzentrum Wien.

Eindrucksvoll ist der Blick auf die Hauptfassade des wohl bekanntesten Gemeindebaus des Roten Wien aus den 1920er-Jahren: des Karl-Marx-Hofs in Döbling. Er ist über einen Kilometer lang und damit der längste zusammenhängende Wohnbau der Welt.

Berühmt wurde er durch den sogenannten Februaraufstand, der sich gegen die Diktaturregierung von Engelbert Dollfuß richtete. Arbeiter und der Republikanische Schutzbund verschanzten sich im Karl-Marx-Hof und gaben erst nach Artilleriebeschuss durch das Bundesheer und die Heimwehr auf. „Das ist aber natürlich nur ein Teil der Geschichte“, versichert Monika Platzer vom Architekturzentrum Wien. „Die Bauten des Roten Wien waren nicht nur dazu gedacht, die Wohnsituation der damaligen Bevölkerung zu verbessern, sondern auch geniale städtebauliche Konzepte.“

Nicht nur, dass man Wettbewerbe ausschrieb und die damals besten Architekten engagierte – man schuf auch eine Infrastruktur in den Höfen, die nicht nur den Bewohnern der Gemeindebauten zugutekam, sondern den Menschen des ganzen Bezirks.

„Keine Ghettobildung“

„Und man war nicht an einer Ghettobildung interessiert. In nahezu jedem Wiener Bezirk war ein Gemeindebau geplant. Es war nicht zuletzt ein städtebauliches Konzept der Integration“, sagt Platzer. „Und es ging nicht um Gewinnmaximierung. Allein im Karl-Marx-Hof sind gerade einmal 20 Prozent der vorhandenen Fläche verbaut. Der Rest sind Grünflächen.“

Die Oberösterreicherin Monika Platzer liebt Architektur. Sie kam zum Studieren nach Wien, und nach dem Kunstgeschichtestudium fand sie schon bald im Architekturzentrum die ideale Arbeit für sich. „Ich hatte immer schon eine sehr enge Beziehung zur Architektur. Ich bin in der sogenannten Gartenstadt in Puchenau aufgewachsen, einem Projekt von Roland Rainer. Das hat offenbar meine Sinne für Architektur geschärft.“ Im Architekturzentrum kuratiert sie in erster Linie Ausstellungen. Ab Herbst gibt es dort ein sogenanntes Schaufenster zum Hof, betitelt mit „Happy Birthday, Karl Marx“. „Anlass ist sein 200. Geburtstag, und wir beschäftigen uns mit der Wirkungsgeschichte seiner Ideen auf Architektur und Stadtplanung.“

Auch wenn Platzer Architektur überhaupt liebt, hat sie doch eine Vorliebe für die Wiener Gemeindebauten der 1920er-Jahre. „Sie waren nicht zuletzt auch ein gesellschaftspolitisches Statement und sind ein ganz wichtiger Teil der Identität Wiens. Das Konzept war damals weltweit einzigartig.“

Der Karl-Marx-Hof ist bis heute eine Ikone dieser Art von Bauten. Er wurde vom Architekten Karl Ehn von 1927 bis 1930 erbaut und umfasst 156.000 Quadratmeter mit rund 1300 Wohnungen. Zur Infrastruktur in den Höfen, die ebenfalls State of the Art war, gehörten Mütterberatungsstelle, Bäder, Kindergärten, Turnhallen, Arztpraxen, Apotheke, Postamt, Bücherei, Jugendheim, Geschäfte, Wäschereien.

Neue Geschäftsansiedlungen

In den 1960er-Jahren verschwand allerdings ein Großteil dieser Infrastruktur. Erst in den vergangenen Jahren begannen sich wieder Geschäfte, Ärzte und Lokale hier niederzulassen und dem Hof und seiner Umgebung neues Leben einzuhauchen. So finden sich in unmittelbarem Umfeld wieder Apotheken, Bäcker, kleine Greißler, Friseure und Ärzte. Betritt man einen dieser Höfe, staunt man über die Weitläufigkeit, die großzügige Grünfläche und das Zurücktreten der eigentlichen Baukörper, die auch heute noch architektonisch überzeugen können: massive Mauern in verschiedenen Rottönen, riesige bogenförmige Durchfahrten, mächtige Tore, Fassaden mit kleinen Fenstern. Einziger Schmuck der gleichförmigen Fronten sind fortlaufende Balkone.

„Für mich ist es ganz besonders wichtig, das baukulturelle Erbe nicht nur zu erhalten, sondern diese Gedanken zum Wohnen auch weiterzuführen“, sagt Platzer. „Nicht auf überladene Wohnbauanlagen ohne Grünflächen und Infrastruktur zu setzen, sondern einen Beitrag zur Integration in jeder Hinsicht und zum lebenswerten Wohnen in einer Stadt zu leisten.“ Die Gemeindebauten der 1920-Jahre seien da nun einmal „mehr als beispielgebend“.

DER HOF IN ZAHLEN

Der Karl-Marx-Hof in Döbling umfasst

156.000 Quadratmeter mit rund 1300 Wohnungen. Mit über einem Kilometer Länge gilt er als längster zusammenhängender Wohnbau der Welt.

Erbaut wurde der Hof von 1927 bis 1930 vom Architekten Karl Ehn. 1980 wurde er generalsaniert. Seit 2010 gibt es eine Dauerausstellung zu Geschichte und kommunalem Wohnbau: „Das Rote Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof“.

Ab Herbst gibt es im Architekturzentrum ein „Schaufenster“ zum Hof.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2018)

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