Der letzte Wahnsinn des Radsports

Peter Sagan will sich auf den Pflastersteinen beweisen.
Peter Sagan will sich auf den Pflastersteinen beweisen.(c) imago/Belga (DAVID STOCKMAN)
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Es gibt Sportklassiker, die nie an Reiz verlieren, etwa Paris–Roubaix. Die „Hölle des Nordens“ lockt immer mit dem berüchtigten Kopfsteinpflaster.

Bonne route!“ Es ist wieder so weit. Mit diesem aberwitzigen Wunsch, „Gute Fahrt“, werden heute in Compiègne wieder um die zweihundert Radprofis in die „Hölle des Nordens“ geschickt. „Un dimanche d'enfer“, titelte einmal die französische Sportzeitung „L'Equipe“. Zum 116. Mal steht an diesem 8. April wieder ein „Sonntag in der Hölle“ im Radsport-Kalender: Paris–Roubaix, dieses anachronistische Spektakel über Kopfsteinpflaster, über die „Pavés“ des nordfranzösischen Kohlereviers.

Dieses Monument des Radsports aus dem vorletzten Jahrhundert hat zwei Weltkriege und sämtliche Dopingskandale vollkommen unbeschadet überdauert. Die „Königin der Klassiker“, 1896 geboren, bleibt ein Mythos für die Ewigkeit. 54,5 brutale Kilometer über „Pavés“ auf der 257 Kilometer langen Strecke werden das Peloton einmal mehr bis auf die letzten Knochen durchrütteln.


Ein hartes Pflaster. Das belgische Team Quick-Step-Floors kann gleich mehrere Trumpfkarten ausspielen. Den Holländer Niki Terpstra (33), am vergangenen Sonntag Solosieger bei der Flandern-Rundfahrt und 2014 schon Erster auf dem Vélodrome in Roubaix, sowie den Haudegen Philippe Gilbert (35). Der Wallone, Weltmeister von 2012 und zuletzt Dritter der Flandern-Rundfahrt, hat sich die Schüttelqual in seiner ruhmreichen Karriere erst einmal angetan. Das war 2007, er wurde 52. Jetzt wäre ein Triumph die Krönung.

Die Hauptkonkurrenten allerdings können sich sehen lassen. Olympia- und Vorjahressieger Greg Van Avermaet (Belgien), Fünfter am letzten Sonntag in Oudenaarde, Dreifach-Weltmeister Peter Sagan vom deutschen Team Bora-Hansgrohe, Sechster der Ronde van Vlaanderen. Und natürlich John Degenkolb, der Zweite von 2014 und Sieger von 2015. Der Kärntner Marco Haller (27, Team Katusha Alpecin) nimmt die Qualen als Helfer auf sich.

Die extrem schwere Flandern-Rundfahrt stecke ihm noch in den Beinen, ließ der Oberurseler auf der Pressekonferenz seines Teams Trek-Segafredo in Brügge allerdings noch wissen. Am Koppenberg sei er regelrecht „explodiert“. Degenkolb erreichte das Ziel auf Rang 32 zwölf Sekunden nach Terpstra. In einer Pressemitteilung wurde der 29-Jährige dann so zitiert: „Nach einigen Kilometern bei der Streckenerkundung auf dem Pflaster fühlte ich mich besser und besser. Das Gefühl für Sonntag ist gut. Da rechne ich mir schon eine Chance aus, stehe aber nicht unter Druck. Es geht nicht um alles oder nichts. Denn nach Roubaix geht es weiter, Amstel Gold Race und natürlich das Rennen am 1. Mai in Frankfurt bei mir zu Hause.“


Ein Jahrhundertsieg? Sein Triumph 2015 war ein historischer deutscher Jahrhundertsieg. Denn den ersten Kopfstein-Klassiker hatte 1896 der Münchner Josef Fischer gewonnen und über ein ganzes Jahrhundert hinaus keinen deutschen Nachfolger gefunden. Bis eben John Degenkolb mit enormer Kraft, mutiger Entschlossenheit und taktischer Schläue die staubige Rüttelfahrt souverän gewann.

Der gebürtige Thüringer aus Oberursel, der 2016 wegen seines Horrorunfalls fehlte und im Vorjahr Zehnter wurde, weiß, wie man hier gewinnt: „Man darf nicht die Nerven verlieren. Wer etwas erreichen will in Roubaix, darf keine Kräfte verschleudern, muss am Ende noch viele Körner übrig haben und im entscheidenden Moment entschlossen attackieren. Diese Erfahrung habe ich.“


Ein Klassiker. Der „letzte Wahnsinn des Radsports“, wie schon der legendäre Chefredakteur von „L'Equipe“, Jacques Goddet, das Gemetzel auf den „Pavés“ einmal genannt hat, hat seinen Ursprung im vorletzten Jahrhundert. Damals, als die schmalen Feld- und Waldwege noch ausnahmslos kilometerlang mit diesen prägnanten, typisch bretonischen Granitsteinen für die Kohlekarren gepflastert wurden. Das erste Rennen hatten zwei Textilunternehmen aus Roubaix organisiert, um in Paris bekannt zu werden. Die fortschreitende Asphaltierung bedrohte die Mutter aller Radsportschlachten. Die Organisation Les Amis de Paris–Roubaix führte jahrzehntelang einen verzweifelten Kampf gegen den Teer mit dem Motto: „Sans pavés. Pas de course“ (Ohne Steine kein Rennen). Die 55 Kilometer Pavés-Passagen stehen seit 2000 unter Denkmalschutz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2018)

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