Film: Headbanging mit Jeanne d'Arc

Gleich wird sich die junge Jeanne mit den beiden Nonnen im Kreis drehen: Szene aus „Jeanette“, einem Film von Bruno Dumont.
Gleich wird sich die junge Jeanne mit den beiden Nonnen im Kreis drehen: Szene aus „Jeanette“, einem Film von Bruno Dumont.(c) Stadtkino
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Ein Rap- und Metal-Musical über die Kindheit der Jungfrau von Orléans, nach einem Mysteriendrama aus dem Jahr 1910: ungewöhnlich und doch irgendwie stimmig.

Wer dieser Tage die leicht gestiegenen Temperaturen zum Anlass nimmt, um durch den Wurstelprater oder eine ähnliche Vergnügungszone zu spazieren, wird vielleicht bemerken, wie ungezwungen heutige Jugendliche auf das eklektische Musikgewitter, auf die blinkenden Lichter und Piepgeräusche reagieren: Wie reflexartig bewegen sie sich zu allem, was auf ihre Körper einströmt. Sie posieren und tanzen einfach drauflos. Ob zu Billig-Techno oder „An der schönen blauen Donau“.

Bruno Dumonts „Jeanette“ spielt zu Beginn des 15. Jahrhunderts und handelt von einem Mädchen, das in einer Sanddünenlandschaft im Norden von Frankreich lebt. Künstliche Musikbeschallung und elektrische Beleuchtung könnten weiter nicht weg sein. Über ihr selbst gesummtes Liedchen gerät Jeanette in den ersten Minuten des Films aber trotzdem in tänzerische Ekstase: Hemmungslos wedelt sie mit den Armen, stampft mit den Füßen in den sandigen Boden. Für eine professionelle Tanzperformance wirken ihre Bewegungen zu unbeholfen und zügellos. Zudem ist ihr Gesang leicht schief. Daran erkennt man bereits, dass Dumont mit Direktton gearbeitet hat und die Gesangseinlage nicht im Studio aufnehmen ließ. Die stimmliche Authentizität steht im klaren Widerspruch zum instrumentalen Playback, das kurz darauf einsetzt. Die zuerst ertönende Kirchenmusik erweckt noch keinen Verdacht, aber dann schlägt der Soundtrack plötzlich in ein Gemisch aus zeitgenössischen Elektro-Beats und Heavy-Metal-Geschrammel um. Die Protagonistin, bei der es sich um keine Geringere als Jeanne d'Arc (1412–1431) handelt, scheint die anachronistischen Klänge ebenfalls zu hören. Denn sie bewegt sich zu ihnen.

Gott als Bandkollege?

Stammen sie aus der Zukunft? Sind sie von Gott herabgesendete Zeichen? Jeannette zerbricht sich nicht den Kopf darüber – der Allmächtige ist so etwas wie ihr unsichtbarer Bandkollege, der sie auf der E-Gitarre und am Synthesizer begleitet, wenn ihre Gelenke und Stimmbänder wieder einmal vom Frust über die britische Besatzung, von ihrem Mitgefühl für die Armen oder ihrem katholischen Glauben mobilisiert werden.

Nicht in der Versenkung des Gebets oder in stoischer Zurückhaltung findet die spätere Befreierin von Orléans zu ihrer religiösen Bestimmung, sondern im Headbanging mit zwei identisch ausschauenden Nonnen, denen der Schleier vom Kopf fällt, als sie ihn rauf und runter, rückwärts und vorwärts, seitwärts und im Kreis bewegen. Später, wenn die Titelheldin zum Teenager herangereift ist, lauscht sie andächtig dem Sprechgesang ihres rappenden Onkels in mittelalterlicher Rüstung. Die Kulisse kippt darüber aber nie ins Unwirkliche einer fantastischen Musical-Parallelwelt, sondern bleibt durchgehend dieselbe Küstengegend mit blökenden Schafen und niedrigen Sträuchern . . .

Ein erstaunlich profanes Setting für eine Heiligengeschichte. Die meisten Akteure tragen simple Tuniken, wenn sie in tableauartigen Totalen ihre Showeinlagen absolvieren. Niemand wird von einem sakralen Lichtstrahl aus dem Himmel geblendet. Keiner von einem Engel besucht. Die Epiphanie tritt viel eher aus dem geduldigen Blick der Kamera auf Wirkliches und Weltliches hervor. Und aus dem Fehlerhaften und Unvollendeten der unsauber aufeinander abgestimmten Bewegungsabläufe in den Performances der Kinder und Jugendlichen, deren Darsteller großteils aus den umliegenden Küstenstädten stammen und dem Film nach dem 1910 erschienenen Drama von Charles Péguy, „Le mystère de la charité de Jeanne d'Arc“, den Stempel ihres zeitgemäßen und unverfälschten Selbstausdrucks aufprägen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2018)

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