Klestil-Löffler: "Russische Seele gibt es wirklich"

Margot Klestil Löffler
Margot Klestil Löffler(c) EPA (Radim Beznoska)
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Sonntagsspaziergang. Margot Klestil-Löffler ist nicht nach Moskau übersiedelt, sie ist vielmehr dorthin zurückgekehrt.

Am Ende drehen wir doch nur die kleine Runde. Die beiden Hündinnen, Geschenke aus dem Hause Putin, an der Leine, promeniert Margot Klestil-Löffler die „Gasse der alten Pferdestallungen“, wie der Weg vor der österreichischen Botschaft in Moskau heißt, hinunter zur Flaniermeile des Alten Arbat und wieder zurück. Im Sommer dann, sagt sie, wenn es nicht mehr so „saukalt“ sei, werde sie den Radius ihrer Bummelrouten ausweiten.

Alles zu seiner Zeit, wie es heißt. Und alles entsprechend dem Ort, an dem man gelandet ist. Klestil-Löffler, fünf Jahre Botschafterin in Prag, wäre überall gern hingegangen, beteuert sie. „Aber ich bin sehr froh, dass es Moskau geworden ist. Auch weil ich hier auf einer gewissen Basis aufbauen kann.“

Genau genommen ist die 55-jährige Niederösterreicherin im Dezember nicht nach Moskau übersiedelt, sie ist vielmehr zurückgekehrt. Schon in den 70er-Jahren war sie dort im Einsatz. Hat als Kulturattaché in der totalitären Sowjetunion Wege zu Kulturschaffenden gesucht. Sich wohl über die schönen Künste und die Widrigkeiten der Realität unterhalten. Man konnte nicht offen reden. Aber sie konnte wenigstens reden. Russisch hatte sie schon im Studium gelernt und dabei auch die „Hochkultur“, wie sie Russland nennt, studiert.

Noch heute lese sie am liebsten die nationale Dichterikone Alexander Puschkin, sagt sie. Aber auch mit Boris Pasternak, dem Schöpfer des später filmisch verschmalzten „Doktor Schiwago“, gibt es ein Nahverhältnis. Es heißt, Pasternak habe die österreichische Botschaft zur Vorlage für jenen Ort genommen, an dem Lara im Roman ihren Liebhaber erschießt.

Seit damals ist viel Wasser die Wolga hinuntergeflossen. Eine Supermacht ist zerbrochen, laboriert am postimperialen Syndrom und sucht nach neuen Identitäten. Die Russen lesen weniger Puschkin, sitzen dafür – wie auch Klestil-Löffler schon einmal – im Gourmetlokal seines Namens.

Manches ist geblieben. Elite und Volk sind nicht nur durch die getönten Scheiben der Luxuskarossen voneinander getrennt, sie sind auch sonst weit voneinander entfernt. Die Botschafterin muss und will mit beiden können. Es sollte nicht schwerfallen: „Wir werden hier sehr gut aufgenommen“, sagt sie. „Die berühmte russische Seele gibt es wirklich.“

Als eine der Hauptaufgaben bleibt dennoch, „Zugang zu möglichst vielen Entscheidungsträgern zu bekommen“. Darüber, wo und wie Netzwerke hier geknüpft werden, will sie sich nicht auslassen. Diplomatie findet hinter den Kulissen statt. Wie auch das Freundschaftsverhältnis zur Familie von Premier Wladimir Putin. Das diplomatische Korps beneidet sie darum. 2004, beim Staatsbesuch ihres kurz danach verstorbenen Ehemannes Thomas Klestil, wurde die Freundschaft durch das Geschenk der zwei Hündinnen besiegelt. „Zu Menschen, die einem so ein Geschenk machen, erhält man eine Beziehung aufrecht“, sagt sie. „Aber eine solche kann nur existieren, wenn man sehr diskret damit umgeht“.


Medwedews Russland. Seinerzeit war Putin noch Chef im Kreml. Dort sitzt heute Dmitri Medwedjew, bei dem Klestil-Löffler ihr Beglaubigungsschreiben überreicht hat. „Als kleines Land werden wir sehr wohl wahrgenommen“, sagt die österreichische Botschafterin. In der Tat lieben und loben die Russen die Alpenrepublik über den grünen Klee. Klestil-Löffler lobt ihrerseits Russlands Bemühungen um einen Modernisierungsschub. Verkürzten Wahrnehmungen tritt sie mit einem synoptischen Blick entgegen. Nicht nur Politik, auch Kultur, auch Wirtschaft gelte es zu sehen. Um etwa acht Prozent ist diese in Russland 2009 zurückgegangen. Nicht die erfreulichste Zeit für den Dienstantritt.

Akzente in den Regionen. Aber Klestil-Löffler denkt weiter. Nicht nur zeitlich, auch in den räumlichen Dimensionen: „Einer meiner Akzente, auch für Österreichs Wirtschaft, werden die Regionen sein“, sagt sie: Das Land sei eben größer und komplexer. „Das wird im Westen oft nicht genug bedacht, auch nicht die Tatsache, dass Russland ein Vielvölkerstaat mit allen entsprechenden Problemen ist.“

Und dennoch, eines steht für Klestil-Löffler fest: „Die Russen fühlen sich als Europäer.“ Das tut auch unsereiner, ebenso wie die Hündinnen und Klestil-Löffler: Nach dem Spaziergang gehen wir in die warme Botschaft – auf einen italienischen Espresso.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2010)

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