100 Kilometer pendeln nach Wien, täglich

Pendeln nach Wien kann Spaß machen. Alles wird geboten: vom gemütlichen Dahingleiter über sparsame Tesla-Fahrer bis hin zum nervösen Rechtsüberholer aus dem Wiener Speckgürtel ist täglich alles dabei.

Mit dem Auto jeden Tag in die Bundeshauptstadt und wieder raus zu fahren bietet ein spannendes Schauspiel und ist nicht so anstrengend und langweilig, wie man glauben mag.

Starten wir unsere Fahrt 100 Kilometer südlich von Wien. Die Gegend heißt Bucklige Welt beziehungsweise Wechsel. Ein idyllischer Start, der im Herbst und Winter über der üblichen Nebelsuppe liegt. Die Südautobahn (A2) schlängelt sich hier bescheiden zweispurig durch einen hügeligen Landstrich und weckt den Fahrer auf. Denn eintönige Geraden gibt es nicht. Hier muss man sein Auto noch lenken. Staus sind sehr selten. Das liegt auch daran, dass es eine 100 km/h Beschränkung gibt und der Abschnitt mit einer Section-Control bewaffnet ist. Die ahndet jede Geschwindigkeitsübertretung gnadenlos. Wer drei Mal gezahlt hat, der fährt vorschriftsmäßig. Jeder. Selbst die Handwerker einer den Pendlern wohlbekannten Elektrofirma aus der Steiermark, deren Fahrer die Firmen-Kleinlaster gerne mit einem Sportwagen verwechseln.

Türkensturz ist eine "Fake-Ruine"

Vom Wechselabschnitt geht es runter ins Pittental. Hier bekommt man gleich drei Burgen zu sehen. Sight-Seeing ist also inklusive im Vignettenpreis. Die Burg Grimmenstein, die Burg Seebenstein und die Ruine Türkensturz, die auf einem großen Felsen über dem Tal thront. Viele glauben ja, dass sie echt sei. Ist sie nicht. Es ist ein künstliche Ruine, die erst 1824 erbaut wurde.

Am Knoten Seebenstein ist es dann vorbei mit der Idylle. Die S6 mündet in die A2 und erweitert sie um eine dritte Spur. Es gesellen sich Neunkirchner und weitere Steirer dazu.
Am Knoten Wiener Neustadt beginnt es langsam eng zu werden. Man trifft alte Bekannte. Den einen oder anderen GTI mit Heckflügel und grünen oder schwarzen Felgen und die Teslas. Die Elektroautofahrer neigen dazu, konsequent 120 zu schleichen, trotz des Beschleunigungsvermögens eines Kampfjets. Scheinbar fahren die Teslas bei 120 am effizientesten. Man will ja wieder heim kommen.

Pendler-Großkampfzone

Schön langsam nähern wir uns dem Wiener Speckgürtel. Das ist wohl der anstrengendste Abschnitt. Denn nach und nach werden die schwarzen, PS-starken SUV und Limousinen immer mehr. Und die haben es immer besonders eilig. Völlig egal, was der Verkehr gerade zulässt schneiden sie zick zack über alle mittlerweile vier Spuren der A2 durch die Kolonnen. Man könnte fast glauben, besser gesagt, die Fahrer schwarzer Groß-SUV und Limousinen aus Baden oder Mödling glauben, dass die vierte Spur nur für sie gebaut wurde. Das ist für den gelernten Provinzpendler aber kein Problem. Spätestens beim Knoten Vösendorf sieht man sich ja wieder.

Hier beginnt der entspannende Teil unserer Reise. Im Stop-and-Go-Verkehr in der Wiener Südeinfahrt, die täglich verstopft ist, kann man Mails abrufen, sich rasieren oder schminken, wenn man es daheim vergessen hat.

Am Knoten Vösendorf teilt sich die Pendler-Community dann in drei Gruppen. Die Altmannsdorf-Fahrer, die Triesterstraßen-Clique und die Südost-Tangenten-Gruppe.

Panik beim ersten Regentropfen

Wer nun glaubt, dass es die Süd-Ost-Tangenten-Pendler am schlechtesten erwischt haben, irrt. Die A23, Österreichs meistbefahrene Straße, ist ein Kinderspiel im Vergleich zur A2 zwischen Guntramsdorf und Inzersdorf. Denn ist man durch das Nadelöhr mal durch, geht es auf der A23 flüssig dahin. Außer es regnet oder schneit. Dann gibt es jedesmal Panik. Das ist aber auch logisch, weil ein mit allen Wassern gewaschener Pendler aus dem 100 Kilometer südlichen Niederösterreich allen anderen mindestens 40 Minuten Verkehrsfunk und Wetterbericht voraus hat.

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