Die fiese Raupe Nimmersatt: "Die Tyrannei des Schmetterlings"

Er sieht die Zukunft, und sie ist nicht sehr einladend: Thrillerautor Frank Schätzing
Er sieht die Zukunft, und sie ist nicht sehr einladend: Thrillerautor Frank Schätzing (c) Imago
  • Drucken

Frank Schätzing beweist mit "Die Tyrannei des Schmetterlings" neuerlich sein Gespür für die Ängste des Menschen vor sich selbst. Für einen Thriller ist das Buch streckenweise langatmig.

Frank Schätzing hat bei den Besten gelernt. Sein neuer Thriller „Die Tyrannei des Schmetterlings“ wurde nicht einfach nur präsentiert. Er wurde im restlos ausverkauften Kölner Musical Dome im Rahmen einer per Live-Stream übertragenen Show mit großem Tamtam aus seinem Kokon befreit. Wer sich an Auftritte von Apple-Gründer Steve Jobs erinnert fühlt, der liegt nicht ganz falsch. Denn „Die Tyrannei des Schmetterlings“ spielt nicht nur in Kalifornien, sondern dreht sich auch um das große Thema im Silicon Valley: Künstliche Intelligenz und was passieren könnte, wenn eine Maschine selbst zu denken beginnt.

Wie schon in seinem Welterfolg „Der Schwarm“ erweist sich Schätzing in „Die Tyrannei des Schmetterlings“ als Meister darin, die Ängste des Menschen vor sich selbst zu bündeln, anzuspitzen und sie dem Leser mit voller Wucht in Herz und Hirn zu rammen. Seine Horrorszenarien wirken umso bedrohlicher, als ihre Bausteine allesamt bereits vorhanden sind und man nur noch vor der Wahl zu stehen scheint, wie man sie zusammensetzt.

Das fragt sich auch Undersheriff Luther Opoku, als seine ebenso verschlafene wie malerische Goldgräbergegend Sierra von einer im Gestrüpp hängenden Frauenleiche verunziert wird. Sie wird als Pilar Guzman identifiziert. Seine Nachforschungen führen Luther nicht nur zu einer geheimnisvollen unterirdischen Forschungsanlage, von der er bisher nichts ahnte, sondern auch zu einem USB-Stick, auf dem die Verladung mysteriöser Boxen dokumentiert ist. Das Labor gehört der mächtigen Nordvisk-Gruppe, ein Hightech-Riese, Marktführer auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI).

Ultimativer Zauberlehrling. Deren Herzstück ist Ares (Artificial Research and Exploration System), der Supercomputer aller Supercomputer. Ares wurde mit den besten Absichten programmiert, nämlich die Welt zu verbessern und den Erhalt des Ökosystems zu sichern. Um besonders innovativ zu agieren, wurde er ermächtigt, sich ununterbrochen weiterzuentwickeln und selbst zu optimieren – der ultimative Zauberlehrling. Und offenbar unter Missachtung des Warnhinweises: „Die erste ultraintelligente Maschine ist die letzte Erfindung, die der Mensch jemals machen wird.“

Luther Opoku und seine Stellvertreterin Ruth haben bald einen Verdächtigen für Pilars Mord im Visier: den mächtigen Sicherheitschef von Nordvisk. Bei einer Verfolgungsjagd wird Luther immer tiefer in den Serverraum von Ares gelockt, als er plötzlich eine seltsame außerkörperliche Erfahrung macht. Als er wieder den Weg nach draußen findet, ist die Welt nicht mehr dieselbe. Luther ist in einem Paralleluniversum aufgetaucht, das Böse im Schlepptau.

„Die Tyrannei des Schmetterlings“ ist ein spannender Thriller, aber einer, den wissenschaftliche Laien nicht so ohne weiteres verschlingen werden. Die Materie ist eine überaus komplexe – wer nicht einfach drüber hinweglesen will, wird nicht umhin kommen, sein Wissen rund um Künstliche Intelligenz, Paralleluniversen und die Insektenwelt zu vertiefen. Das sieht auch der Autor so, der am Ende des Romans – ungewöhnlicherweise – weiterführende Literatur empfiehlt.

Das Problem mit „Die Tyrannei des Schmetterlings“ ist ein anderes. Wie bei so manch anderem Erfolgsautor traut sich auch offenbar hier niemand anzumerken, dass kürzer besser wäre.

Zu viel Landschaft. Mit nur knapp 740 Seiten ist das Buch für Schätzings Verhältnisse zwar bescheiden ausgefallen, doch tun vor allem die endlosen Landschaftsbeschreibungen und detaillierten Schilderungen computergenerierter Gebilde dem Buch keinen Gefallen. Schätzing ist ein exzellenter Schreiber, doch berauscht er sich immer wieder an den eigenen Formulierungen.

Entschädigt wird man für die zähen Passagen mit einer flotten Thrillerhandlung, einem facettenreichen Personal und vielen Informationen über die Zukunft, wie man sie nicht erleben will. Und noch ein guter Rat: Erschlagen Sie das nächste Insekt, das Ihren Weg kreuzt. Denn man weiß nie.

Frank Schätzing: „Die Tyrannei des Schmetterlings“  Kiepenheuer & Witsch, 736 Seiten, 26,80 Euro
Frank Schätzing: „Die Tyrannei des Schmetterlings“ Kiepenheuer & Witsch, 736 Seiten, 26,80 Euro(c) Beigestellt

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.