Heute muss sich César Sampson durchsetzen. Sollten die Zocker Recht behalten, können die irischen, isländischen und mazedonischen Sänger ihre Koffer packen. Die Nummer Eins ist bei den Wettbüros fix.
Das Glücksspiels ist im Falle des Eurovision Song Contest ein zweckdienlicher Indikator dafür, wie die Kandidaten im Rennen liegen. Insofern lohnt der Blick auf die Einschätzung der Wettbüros auch einen Tag vor dem entscheidenden Halbfinale für Österreich am Dienstag in Lissabon. Und demnach schafft César Sampson das Finalticket.
Vergleicht man die Quoten von 16 Buchmachern, liegt der 34-Jährige mit seiner selbst mitgeschriebenen Nummer "Nobody But You" derzeit auf Platz 7 des 19-köpfigen Kandidatenfeldes. Dies würde souverän für einen Einzug ins Finale des 63. Eurovision Song Contest am 12. Mai reichen. Schließlich gibt es zehn Finaltickets zu ergattern.
Alle Jahre wieder karrt der Eurovision Song Contest mehr oder weniger professionelle Musiker in den Fokus eines Millionenpublikums, das sich im altrömischen Daumen-rauf-Daumen-runter-Spiel ergötzen will. Dass die musikalische Qualität bei der Siegerentscheidung praktisch nie die Hauptrolle spielt, sollte nicht von den zwischen all dem Trash versteckten, wirklich hörenswerten Liedern ablenken. Und sollte tatsächlich eines der folgenden, nach streng subjektiven Maßstäben ausgewählten Lieder gewinnen, dann muss der Autor seine liebevoll gehegten Vorurteile revidieren. Text von Samir H. Köck. (c) AFP (JACK GUEZ) Ein kirchenglockenmäßig angeschlagenes Piano, und dann erstrahlt diese Stimme, die schlicht Sogkraft hat. Die Worte, die da in schönstem Moll aus dem Lautsprecher fliegen, loben die klandestine Schönheit der Vergänglichkeit: „Sometimes it feels like it's meant to be broken, sometimes we long for the unspoken.“ Die 28-jährige Sennek, mit Klarnamen Laura Groeseneken, hat schon für die belgische Band Hooverphonic komponiert. Das erklärt die hohe Qualität dieses Songs. Zum Beitrag >>> (c) imago/Belga (HAND OUT EEN) Das 2011 gegründet Trio DoReDoS hat zunächst brav einen akademischen Abschluss in der Musik gemacht. Nach zwei erfolglosen Versuchen, am ESC teilzunehmen, war ihm das Glück im dritten Anlauf hold. „My Lucky Day“ tändelt mit osteuropäischen Melodiepartikeln und zeigt, dass man damit auch fröhliche Weisen bauen kann. Der Text träumt sich aus dem magischen Raum des ersten Eindrucks eine innige Zweisamkeit. Das passiert mit einem für den slawischen Raum ungewöhnlichen Optimismus. Zum Beitrag >>> (c) imago/ITAR-TASS (Vyacheslav Prokofyev) In der Kunst vergisst man viel zu leicht, dass auch fesche Leut' Talent haben können. Im Fall des 22-jährigen Mikolas Josef, der sich ein Zubrot als Model verdient, ist es so. Seine selbst komponierte, rasante Nummer, die sich ein wenig an Pharrell Williams' Kunst orientiert, überrascht mit originellen Einschüben. Eine hitzige Trompete, wirre Knabenstimmen und allerhand Geklapper prägen den Trennungssong „Lie to Me“. Auch gesanglich top. Zum Beitrag >>> (c) imago/ITAR-TASS (Vyacheslav Prokofyev) Das aus den Eheleuten Emilie Satt und Jean-Karl Lucas bestehende Electro-Duo charmiert zu Beginn seines Ohrwurms „Mercy“ mit Flüstergesang und Fingerschnippen. Dann entwickelt sich ein moderater Groove, auf dem die beiden ihre politische Agenda ausrollen. In schlichten Worten erzählt Sängerin Emilie im Lied eine wahre Begebenheit, nämlich die Geburt eines Flüchtlingskinds an Bord der SOS Méditerranée im letzten März. Mit so einem Text, der an Moral und Humanität der Jury appelliert, riskiert man auch etwas. Zum Beitrag >>> (c) imago/ITAR-TASS (Vyacheslav Prokofyev) Worte sind nicht genug für das, was die 25-jährige Netta in ihrem rasanten, hochmodernen Song „Toy“ kommunizieren will. Mit lautmalerischen Passagen transzendiert sie ihre feministischen Botschaften. „Welcome boys, too much noise, I will teach you Pam Pam Pa Hoo, Turram Pam Pa Hoo . . .“, heißt es da etwa. Die Israelin, die sich bislang als DJane und Sängerin auf Hochzeiten verdingt, weiß sich auf originelle Art zu bewegen. Ihre mollige Statur dürfte da kein Nachteil sein. Zum Video >>> (c) AFP (JACK GUEZ) Auch Weißrussland versucht es mit einer Klavierballade. Einer, die ohne das Pathos auskommt, mit dem für gewöhnlich östliche Staaten beim Song Contest operieren. Der bald 25-jährige, eigentlich ukrainische Sänger Alekseev intoniert konsequent zart, wenn er von der dauerhaften Liebe träumt. Die Keyboardflächen und das Geigengeschwirre sind nie mehr als Ornament zu den ersten Klaviertupfern. Zum Beitrag >>> (c) imago/Scanpix (Konstantin Sednev) Akrobatisch schraubt sich Elina Nechayeva in Höhen, in denen die Luft sehr dünn ist. Aber die 26-jährige Sopranistin, die im wirklichen Leben Oper und klassischen Crossover praktiziert, fühlt sich im dramatischen „La Forza“ wohl wie ein Fischlein im Wasser. Sie singt über Affinitäten, aus denen sich mehr formt. Im selbst formulierten, italienischen Text geht es um eine Liebe, die in jeder Hinsicht ins Unendliche strebt. Zum Beitrag >>> (c) imago/ZUMA Press (Persona Stars) Der gebürtige Weißrusse Alexander Rybak kam mit vier Jahren nach Norwegen, nur ein Jahr später begann er, Klavier und Geige zu spielen. „That's How You Write a Song“ besticht durch einen schmissigen Rhythmus und ein folkloristisch anmutendes Geigenarrangement, das abenteuerliche Fideleien zulässt. Rybaks Happy-Go-Lucky-Attitüde ist durchaus ansteckend. Übrigens gewann Rybak schon einmal den Song Contest: 2009 siegte er mit der bis dato höchsten Punktzahl. Zum Beitrag >>> (c) AFP (AUDUN BRAASTAD) Ein bisschen ätherisches Zirpen am Horizont, dann setzt ihre mit artifiziellem Schnickschnack aufgepimpte Stimme ein: Die 31-jährige Griechin Eleni Foureira lädt im Lied „Fuego“ zu einem Tauchgang in ihre schönen Augen ein. Solide Rhythmen und rätselhaftes Gefiepse ornamentieren ihren dringlichen Gesang. Kein Wunder, in ihr brennt das Feuer der Begierde. Sie verbirgt nichts: „Ain't no hidden agenda, what you see is what you get.“ Zum Beitrag >>> (c) imago/ITAR-TASS (Vyacheslav Prokofyev) Zibbz, dieses gemischte Geschwisterduo aus dem Kanton Luzern, probiert auf ganz redliche Weise, mit Musik zu überleben. Zwei in L. A. aufgenommene Alben schlagen schon zu Buche. Der Song „Stones“ charmiert mit eingängigem Beat, erfrischender Hookline und oktanhaltigen Stimmen. „We're the liars in the face of the facts“, singen sie und wollen nicht den ersten Stein werfen. Eine Art Gegenentwurf zur Empörungswut in den sozialen Medien. Zum Beitrag >>> (c) imago/ITAR-TASS (Vyacheslav Prokofyev) Song Contest: Die Top Ten der "Presse" Als absolute Fixstarterin sehen die Buchmacher derzeit Israels Kandidatin Netta mit der #MeToo-affinen Nummer "Toy", die verlässlich auf Platz 1 gereiht wird.
Das Stockerl vervollständigen in der einen oder anderen Reihung Eleni Foureira aus Zypern mit ihrer Strandparty-Nummer "Fuego" und das tschechische Ex-Model Mikolas Joef mit "Lie To Me".
Bereits die Koffer packen können hingegen - sollten die Zocker Recht behalten - Länder wie Irland, Island oder Mazedonien. Das 1. Halbfinale bietet einen bunten Mix der Musikszene Europas.
Nach Lissabon hat den ESC im Vorjahr Salvador Sobral geholt, der in Kiew einen fulminanten Sieg hinlegte. So richtet Portugal heuer den ersten Song Contest in der Geschichte des Landes aus.
ESC 2018 Zum 63. Mal wird in diesem Jahr der Eurovision Song Contest ausgetragen. Das Finale findet am 12. Mai in Lissabon statt.
„All Aboard!“ lautet das diesjährige Motto – und spielt auf die Vergangenheit Portugals als Zentrum vieler Seerouten an. Mehrere ESC-Logos (etwa eine Muschel) sollen auf die Vielfalt im Ozean wie auch in Europa verweisen.
Für Österreich tritt der in Linz geborene Cesár Sampson an, der in den beiden vergangenen Jahren als Backgroundsänger für Bulgarien auf der ESC-Bühne stand.
Erfolgsfaktoren . Statistisch gewinnen beim ESC Lieder, deren Schlagzahl dem Herzschlag eines ruhenden Menschen entspricht (61 bis 70 bpm). Die meisten Songs im heurigen Wettbewerb sind deutlich schneller. Sonst galt lange: Dur gewinnt über Moll – erst seit der Jahrtausendwende waren die Siegersongs meist in den melancholischeren Tonarten geschrieben.
Geschlecht. 36 der bisher 65 Sieger (1969 gewannen gleich vier Teilnehmer) waren Frauen – Transkünstlerinnen wie Conchita sind da noch gar nicht mitgezählt.
In den Wochen vor dem Song Contest war er omnipräsent. Bei Claudia Stöckl erzählte er, dass er irgendwie Single ist, bei Grissemann und Stermann ließ er sich nicht auf Witze über den Eurovision Song Contest ein. Sein Gesicht war überall zu sehen: Cesár Sampson wurde im Mittelfeld gesehen, war dann weit erfolgreicher als gedacht. (c) ORF Mit seiner Nummer "Nobody But You" trat der Linzer am 12. Mai im Finale an. "Es ist eine Mid-Tempo-Nummer, bei der man nicht einschläft. Ich glaube, dass unser Song sehr am Zeitgeist ist." Tatsächlich bekam er von den Jurys der einzelnen Länder die beste Wertung. imago/K.Piles Sampson ist 34 Jahre alt, die Eltern beide Künstler: Die Mutter Pianist, der Vater Choreograf und Pilates-Lehrer. Was den Sänger sozial prägte und in der Pubertät dazu brachte, gegen den Künstlerhaushalt durch das Tragen von Anzügen zu rebellieren. APA/HERBERT NEUBAUER Schon mit 17 Jahren ging er als Sänger mit Kruder und Dorfmeister sowie den Sofa Surfers auf Tour, bereiste die Welt. Mit 20 reichte ihm das Künstlerdasein nicht mehr, wie er sagt - er widmete sich der Sozialarbeit, arbeitet mit Jugendlichen und mit körperlich behinderten Menschen zusammen. GEPA pictures Gleichzeitig schrieb er Auftragslieder und wirkte etwa 2016 im Video zum Song "Let's Get Naked" des Wiener Projekts "Bubblegum Pink" mit (produziert von Puppengold Records), wobei er den Fitness-Coach von LOUIE AUSTEN (!) spielt, der er angeblich im echten Leben auch war bzw. ist. Auch als Model war Sampson aktiv - nach eigenen Angaben aber nicht besonders gut. Im Musikgeschäft arbeitete er in den vergangenen Jahren vor allem hinter den Kulissen: "Ich habe und hatte nie einen unglaublichen Geltungsdrang. Ich muss nicht beweisen, dass ich der Hero bin. Der kreative Prozess ist das, was mich am meisten am Musikmachen erfreut." ORF Sein musikalisches Urteil über den ESC: "Eine steil nach oben zeigende Aktie. Man ist auf Augenhöhe mit der zeitgenössischen Musik und der Chartstruktur. Das hat sich nur bei manchen Ländern noch nicht rumgesprochen." Im Bild: Sampson am 8. März 2018 bei der Präsentation des ESC-Liedes 'Nobody but you' im ORF-Zentrum in Wien. APA/HERBERT NEUBAUER Der Eurovision Song Contest (ESC) war bekanntermaßen kein Neuland für ihn: Sampson war am Produzentenkollektiv Symphonics International beteiligt. Das zeichnete unter anderem für den Beitrag "Beautiful Mess" von Bulgariens Kandidat Kristian Kostov (2017) verantwortlich. Auch zuvor stand er bereits für Bulgarien als Backgroundsänger auf der Bühne (Bild). Man glaubte ihm, dass er sehr ernsthaft an die Sache heranging, Witze über den Song Contest würgte er auch schnell ab. "Ich wurde 2016 so richtig vom Eurovision-Floh gebissen und habe gemerkt, dass man da alles verwirklichen kann." APA/HERBERT NEUBAUER Sein Lied für Lissabon schrieb Sampson auch mit Symphonics International. Es gehe in den Bereich zwischen Rock und Soul. Bild: Beim Video darf's durchaus auch ein wenig Pathos sein. (c) Screenshot "Ich habe nicht als Teenie probiert, so schnell und viel als möglich zu machen, sondern ich habe den spirituellen Weg eingeschlagen. Ich habe gehofft, dass die Musik eines Tages wieder auf mich zukommt. Und deshalb stehe ich jetzt, wo ich stehe", sagte er in einem Interview. Bild: Sampson mit Eberhard Forcher - laut dem Sänger wichtigster Teil des Auswahlteams. (c) imago/K.Piles ((c) Kurt Piles / Imago / Wien) Er spricht viel von der Kameradschaft zwischen Sängerinnen und Sängern beim ESC. Vielleicht tritt er ja wieder an. ORF Israel siegte beim Song Contest; mit Sängerin Netta Barzilais, einer stämmigen Frau, stimmstark und durchaus witzig. (c) Screenshot Video Sänger, Model, Sozialarbeiter: Österreichs Kandidat für den ESC (APA/red.)
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