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Festwochen: Fauna verführt ins Schattenreich

Grelle Bodennebel vermittelten eine Atmosphäre schönster Gefährlichkeit, die dem Namen Dystopian Avant Pop gerecht wurde.
Grelle Bodennebel vermittelten eine Atmosphäre schönster Gefährlichkeit, die dem Namen Dystopian Avant Pop gerecht wurde.(c) Karolina Miernik, Emilia Milewsk
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Die Club-Schiene Hyperreality eröffnete mit einem hochkarätigen Auftritt düsterer Klangkunst, die selten auch mit Wucht in sinnliche Dschungel drang.

Zu merkwürdiger Musik zogen grelle Bodennebel, schufen eine Atmosphäre schönster Gefährlichkeit. Das Trio Fauna, Geisteskind von Rana Farahani, einer langjährigen Aktivistin des hiesigen Undergrounds, bewegte sich sachte auf der dunkelrot gehaltenen Bühne. Ihre Stimme, mit Autotune-Verfremdungseffekt auf ein irreales Level gehoben, lockte mit einem verführerischen „Yallah Habibi“ in ein Schattenreich, in dem offenbar Ideologieopfer der Weltreligionen auf ihre Himmelfahrt hofften. „Hölle“ hieß das Stück, das auf ihrem eben erschienenen zweiten Longplayer, „Infernum“, zu finden ist, der, überraschend konventionell, am Merchandising-Stand zu erwerben war. Zwischen beseelten Einschüben von einigen „Hava Nagilas“ reimt sie „Ave Maria“ mit „Scharia“. Mit anmutigen Bewegungen illustrierte sie ihre düstere Klangkunst, die ganz selten, dann aber mit großer Wucht in sinnliche Dschungel führte. Wie etwa mit dem munter blubbernden Song „Death Fly“, der mit seiner Achtzigerjahre-Ästhetik wieder einmal klarmachte, dass Utopia heutzutage meist in der Gestalt eines „Retrotopia“ auftaucht, wie es der Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman in seinem gleichnamigen Buch beschreibt.

Sehnsucht nach verlorenem Paradies

Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies ist alt. Wie zu erwarten ist auch die Dystopie eine Ableitung davon. Als Dystopian Avant Pop wird Farahanis aktuelle Musik gern bezeichnet. Um Losungen wie „Fake is gonna lose control“ effektvoll einzubetten, operierte sie mit gruseligen Effekten und trockenen Beats. Das „Fake“ klang dann mehr wie ein „Faith“, was die Ambiguität ihrer Kunst weiter unterstrich. „Drive By“ hieß dieses unheimliche Stück, in dem sich Farahani als ihr Alter Ego Gauna inszenierte.

Für Marlene Engel, Kuratorin der Hyperreality-Schiene der Wiener Festwochen, war Fauna eine naheliegende Wahl, weil man einander schon von der Bliss-Eventreihe und gemeinsamen Aktivitäten in der Burschenschaft Hysteria kennt. In ihren einführenden Worten im Flyer zu Hyperreality träumt sie vom „Club als paradigmenfreiem Möglichkeitsraum, in dem Begriffe wie Gender, Sexualität und Hautfarbe in ihren festgelegten Bedeutungen infrage gestellt werden“.

Das greift einerseits auf die Mythen des New-York-Disco der Siebzigerjahre zurück, ist andererseits aber auch feig, weil es die meist doch kraftspendende Devianz nicht mehr als Devianz definiert. Statt auf Reibung, bis die Funken fliegen, sehnt Engel ein paar Zeilen eine „neue, offene Form von Normalität“ herbei, was länger dienende Aktivisten des Kultur-Undergrounds auf die Palme bringen sollte. Aber was für ein Underground kann das schon sein, der sich aus Steuergeldern finanziert? Nur ein durch und durch lieber, wie jener von Zierhofer-Kin forcierte, der in der LGBT-Bewegung (Akronym für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) die Urzelle einer kommenden Weltrevolution sieht.
Weit weniger subtil agierte dann der Venezolaner Arca, der schon mit Granden wie Björk, Kanye West und Frank Ocean gearbeitet hat. Mit wüsten Klangcollagen, die zuweilen an den Lärm von Großbaustellen erinnerten, wirbelte er die Erwartungshaltungen vieler Besucher kühn hinweg. Als sexuelles Zwischenwesen stöckelte er auf High Heels zwischen den Besuchern herum, sonderte Wortkaskaden ab, deren Sinn man gern verstanden hätte, um herauszufinden, worin hier die Subversion lag. Intensiv war sie jedenfalls, diese Performance.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2018)

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