Mindestsicherung: Kürzungen rechtlich umstritten

Sozialhilfe. Die SPÖ macht gegen die Regierungspläne mobil, Rechtsexperten warnen vor allem bei den Einschnitten für anerkannte Flüchtlinge: Diese dürften nicht schlechter gestellt werden als Inländer. Eine Wartefrist für EU-Bürger dürfte dagegen machbar sein.

Wien. Die geplanten Änderungen bei der Mindestsicherung sorgen weiter für Diskussionen – politisch wie rechtlich. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch sprach von einer „Kürzungsorgie bei den sozial Schwächsten“. Die Regierung wolle den Sozialstaat zerstören. Vorsichtiger äußerte sich der neue Wiener Bürgermeister Michael Ludwig: Er wolle nicht automatisch nein sagen und von vorneherein alles ablehnen. Konkret äußern könne er sich erst nach Vorliegen des Gesetzesentwurfes. Ablehnend zeigte er sich aber jetzt schon bei den Kürzungen bei Kindern. Da habe er eine besondere Sensibilität.

Bei großen Familien wird es besonders starke Kürzungen geben – unabhängig von der Nationalität. So gibt es derzeit in Wien für jedes Kind 233 Euro, künftig soll das erste Kind 216 Euro erhalten, das zweite 129 und jedes weiter nur noch 43 Euro. In Tirol, wo es derzeit noch Extra-Zuschüsse für Wohnkosten gibt, würde sich die bundesweite Deckelung besonders stark auswirken. So würde nach Berechnungen der Grünen eine Familie mit zwei Kindern in Innsbruck, die derzeit 2292 Euro bekommt, künftig mit 1554 Euro (32 Prozent weniger) auskommen müssen. Die ÖVP verteidigt die Kürzungen. „Mit dem Familienbonus Plus auf der einen Seite und der Mindestsicherung Neu auf der anderen Seite schaffen wir mehr Gerechtigkeit für Familien“, sagte Familienministern Juliane Bogner-Strauß.

Rechtlich sind die Regierungspläne weiter umstritten. Für den Verfassungsrechtler Theo Öhlinger ist die Wartefrist von fünf Jahren für EU-Bürger „sicher EU-rechtswidrig und wahrscheinlich auch verfassungswidrig“. Dem widerspricht der Arbeits- und Sozialrechtsexperte Franz Marhold: Da es sich bei der Mindestsicherung um eine Sozialleistung handle, könne man diese EU-Bürgern auch generell vorenthalten. Der Zugang zur Mindestsicherung nach fünf Jahren sei somit schon ein Zugeständnis, so Marhold zur „Presse“. Gestützt wird diese Ansicht durch das Verfassungsgerichtshoferkenntnis zur niederösterreichischen Mindestsicherung: Der VfGH hatte da die Wartefrist für EU-Bürger und Drittstaatsangehörige für unbedenklich gehalten, da diese Personengruppe in ihrer Heimat Sozialhilfe beziehen könne.

300-Euro-Bonus „riskant“

Kritisch sieht Marhold dagegen einen weiteren Kernpunkt der Regierungspläne: Den Arbeitsqualifizierungsbonus von 300 Euro für Personen mit Pflichtschulabschluss oder guten Sprachkenntnissen. Die Rechtslage sei klar, man dürfe Asylberechtigte nicht schlechter behandeln als Inländer. Hier gehe es aber um ein Kriterium, das für Inländer leicht zu erbringen sei, für Asylberechtigte aber nicht. Diese Regelung halte er rechtlich zumindest für „riskant“. Auch EU-Rechtsexperte Walter Obwexer hält es für „zweifelhaft“, dass der 300-Euro-Bonus hält.

Marhold sieht aber eine Möglichkeit, Kürzungen rechtskonform umzusetzen: Man könne verstärkt auf Sachleistungen umsteigen. So könne die Regierung Sprachkurse als Sachleistung anbieten und diese auf die Mindestsicherung anrechnen. „Die Kurse müssen dann aber auch tatsächlich angeboten werden“, so Marhold.

Eine noch wenig beachtete Schlechterstellung ist bei subsidiär Schutzberechtigten geplant: Das sind Personen, denen Asyl verweigert wurde, die aber aufgrund der Sicherheitslage nicht in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden können. Sie werden künftig – wie bisher schon Asylwerber – keinen Anspruch auf Mindestsicherung haben. Derzeit ist die Regelung je nach Bundesland unterschiedlich. In einigen Ländern (Wien, Kärnten) gibt es volle Mindestsicherung, in anderen (Burgenland, Steiermark, Niederösterreich) nur ein Taschengeld von 320 bis 365 Euro. Die westlichen Länder haben ein Mischsystem mit niedriger Geldleistung und Zuweisung einer Unterkunft. Der VfGH hatte keine Einwände gegen den Ausschluss dieser Gruppe aus der Mindestsicherung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2018)

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