Daten – das Öl des 21. Jahrhunderts

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Lange war die Öl- und Gasindustrie eine der innovativsten Branchen der Welt. Doch mit der digitalen Revolution konnte sie bisher nicht Schritt halten. Und das, obwohl der richtige Umgang mit Daten ein Potenzial in Milliardenhöhe birgt.

Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts. Jahrzehntelang dominierten Ölkonzerne wie Standard Oil, Exxon, Shell, BP und Chevron die Welt. Heute sind es datenaffine Tech-Giganten wie Apple, Amazon, Google, Microsoft und Facebook, die Wirtschaft und Politik vor sich hertreiben. Doch es ist nicht nur der Machtverlust, der die Öl- und Gasbranche alt aussehen lässt: Statt die Trends zu wie Big Data oder künstlicher Intelligenz frühzeitig aufzugreifen, beginnen die Ölmultis erst jetzt nach und nach ihr Geschäft an den digitalen Wandel anzupassen.

„Die Öl- und Gasunternehmen haben es bisher nicht geschafft, die Chancen zu nützen, die durch die Analyse von Daten entstehen. Und das, obwohl die Branche schon immer eine massive Anzahl an Daten zur Verfügung hatte. In den Achtzigerjahren waren sie sogar die Ersten, bei denen Supercomputer standen“, sagt Reinhard Geissbauer, Partner bei der PwC-Tochter PwC Strategy& Deutschland, zuständig für Digital Operations in Europa, im Nahen Osten und in Afrika.

Chancen nicht zu ergreifen bedeutet in der Wirtschaft Geld liegen zu lassen. Durch die bessere Nutzung von Daten können laut dem Unternehmensberater in einem Zeitraum von fünf Jahren bis zu 20 Prozent der operativen Kosten eingespart werden. Die Durchlaufzeit – im Fachjargon „time-to-first-oil“ – also jene Zeit vom Auffinden des Öls bis zum ersten gewonnenen Tropfen, kann um bis zu 35 Prozent reduziert werden. Wenn man bedenkt, dass der Bohrbetrieb – je nach Region und Tiefe – mehrere Millionen Euro pro Tag kostet, ergibt das eine beträchtliche Summe.

Der unsichtbare Schatz im Untergrund

Der intelligente Einsatz von Daten zieht sich durch die gesamte Wertschöpfungskette und umfasst grob aufgeteilt die Bereiche Upstream und Downstream. Upstream beginnt mit der Suche nach Öl- und Gasvorkommen, auch Exploration genannt. Es ist der aufwendigste und teuerste, aber auch der profitabelste Teil der Industrie. Weltweit durchleuchten Energieunternehmen den Erd- und Meeresboden nach Öl- und Gas. „Desto besser wir Bescheid wissen, wie es untertage aussieht, desto effizienter und sicherer können wir die teuren Bohrungen durchführen“, sagt Markus Berghofer, Vizepräsident der Sparte Information Management & Business Projects beim österreichischen Öl- und Gaskonzern OMV. Zahlreiche Geologen, Geophysiker, Bohrtechniker, IT- und Visualisierungsspezialisten arbeiten miteinander, um mit seismologischen Messungen möglichst realitätsnahe, dreidimensionale Abbilder der Öl- und Gaslagerstätten zu konstruieren. „Dabei verwenden wir Millionen von Datenpunkten, deren Analyse eine extrem hohe Rechnerleistung erfordert“, sagt Berghofer.

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In einem speziell auf Daten-Visualisierungen ausgerichteten 3D-Raum, der um knapp eine Million Euro im Oktober vergangenen Jahres in der Zentrale beim Wiener Prater errichtet wurde, werten OMV-Mitarbeiter Mithilfe einer Software des Ölfeldausrüsters Schlumberger Seismikdaten und Gesteinsformationen aus. Auf Basis dieser Ergebnisse wird das Management mit Informationen zu Entscheidungen über Bohrvorhaben und Optimierungsmaßnahmen versorgt.

Intelligente Bohrköpfe

Sobald die Lagerstätte lokalisiert und die Bohrlizenzen erworben sind, beginnt das Hauptgeschäft: die Öl- und Gasgewinnung, auch Operations genannt. „Daten sind das A und O unserer Industrie. Es sind Unmengen an Daten vorhanden, aber die meisten können sie nicht automatisiert auswerten und nutzen. Wir schließen diese Lücke“, sagt Gerhard Thonhauser, Professor der Montanuniversität Leoben, der mit seinem weltweit agierenden Unternehmen TDE Thonhauser Data Engineering ein lukratives Geschäftsfeld entdeckt hat.

TDE mit Sitz in Leoben wertet die Leistung und den Zustand von Bohranlagen in Echtzeit aus und berät anhand der Ergebnisse seine Kunden. Ölkonzerne wie Shell, BP, Petrobras oder die OMV haben den Professor bereits beauftragt, ihre Bohraktivitäten zu optimieren. Die Daten gewinnt TDE mit einer neuen Sensortechnologie, die entlang des Bohrstrangs angebracht ist. „Was tut die Anlage? Wie geht es ihr? Aus der Datenflut filtern wir das Wesentliche heraus und helfen in der Umsetzung“, sagt der Professor. Die Datenanalyse erfolgt mithilfe von selbstlernenden Systemen.

Wartung mit Weitblick

Eine weitere Tätigkeit, die für den reibungslosen Geschäftsablauf unabdingbar ist und mit der Analyse von Daten verbessert wird, ist die Instandhaltung. Als anlagenintensive Industrie braucht die Ölbranche viel Zeit, Geld und Personal für die Wartung ihrer Maschinen. Mit der sogenannten Predictive Maintenance, der vorausschauenden Wartung, lassen sich Einsätze und Ersatzinvestitionen besser planen, aufschieben oder gänzlich einsparen. Während des laufenden Betriebs wird mithilfe von Sensoren der Zustand der Anlagen regelmäßig aufgezeichnet, kontrolliert und ausgewertet. So können eventuelle Probleme frühzeitig erkannt und Ausfälle verhindert werden.

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Der zweite Abschnitt des Öl- und Gasgeschäfts wird Downstream genannt. Hier spielt sich alles ab, was mit dem Öl und Gas passiert, sobald es an die Erdoberfläche befördert wurde – vom Transport über die Verarbeitung bis hin zum Verkauf von Treibstoffen an Endverbraucher und Unternehmen. Im Gegensatz zum Upstream, das zwar schon seit Jahrzehnten Daten auswertet, aber den Sprung in die neue digital-vernetze Welt noch nicht geschafft hat, konnte Downstream dem Tempo der Digitalisierung etwas besser folgen.

Datenbasierter Raffinerie-Turnaround

Als Beispiel für gelungene Vernetzung von Daten nennt Jan Leitermann, OMV-Chief-Information-Officer (CIO), den  Turnaround der Raffinerie in Schwechat, eine alle fünf bis sechs Jahre stattfindende Wartung von 30 zusammenhängenden Anlagen. Die Raffinerie wird abschnittsweise stillgelegt, Schritt für Schritt in ihre Bestandteile zerlegt und wieder zusammengebaut. Rund 4000 Pumpen, Leitungen, Wärmetauscher und Kompressoren werden gereinigt, inspiziert und bei Bedarf ausgetauscht. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen sind bis zu 6.500 Experten von rund 50 externen Firmen am Werk.

„Früher hatten wir zahlreiche Räume voll mit großen Papierbögen, auf denen wir mit dem Kugelschreiber abgehakt haben, was schon erledigt wurde und was noch aussteht“, sagt der CIO. „Heute ist das alles digitalisiert. Die Informationen werden elektronisch über das iPad oder das Coordination Board ausgetauscht. Mitarbeiter melden sich mit einem Chip im Helm am System an, um alle relevanten Informationen zu erhalten.“ So können auch alle internen und externen Mitarbeiter lokalisiert und die Zutrittsbefugnisse kontrollieren werden.

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