„Hervorragende Datenspürhunde“

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Digitale Brandungswellen haben auch das gemütliche Ufer der Sozietäten erreicht. Experten raten, diese rechtzeitig zu surfen, anstatt unterzutauchen.

»Alles, was uns als globaler Anwaltssozietät hilft, große Mengen juristischer Daten oder repetitiver Prozesse digital schnell und effizient zu bewältigen, ist willkommen.«

Hanno Daniel, Continuous Improvement Manager, Clifford Chance

Die digitale Transformation verändert derzeit die Branche der Anwälte wie selten etwas zuvor. Sie scheint die Player in der konservativ-traditionellen Welt der Sozietäten etwas unvorbereitet zu treffen – zumindest in dieser Heftigkeit. „Die allgemeine Trägheit liegt möglicherweise daran, dass eine gewisse Zeit lang immer Unsicherheit herrscht, ob wirklich überall, wo viel Rauch qualmt, auch Feuer ist; und welche dieser Feuer vielleicht nur Strohfeuer von kurzer Dauer sind“, mutmaßt Anwalt Peter Oberlechner. Der Leiter der Abteilung Immobilienrecht bei Wolf Theiss Rechtsanwälte ist ein gefragter Fachmann im Bereich digitale Transformation. Vieles erinnere derzeit an den Internet-Hype der späten 1990er Jahre, so Oberlechner. Auch diesmal werden von den zahllosen Startups aus der Legaltech Sparte wohl nur einige übrigbleiben, die dann „Big Tickets“ sind. So viel ist absehbar. Die Digitalisierung als Rechtsanwalt aus Unsicherheit zu ignorieren, sei allerdings kein kluger Schluss: „Es gibt eine zunehmende Zahl von Software-Applikationen, die Anwälten zur Verfügung stehen. Derzeit werden am Markt beispielsweise einige Produkte speziell für die Vertragsprüfung von Immobilienprojekten – zur Erfassung und Klassifikation von Mietverträgen – angeboten. Diese Tools sind interessant und sollten genutzt werden“, meint Oberlechner.

Alles was hilft, ist willkommen

Was für Immobilienjuristen gilt, trifft auf die gesamte Branche der Anwälte zu. Recherchen in juristischen Datenbanken sind mittlerweile selbstverständlich. Die physischen Bibliotheken schrumpfen, physische Datenräume in Due Diligence Prüfungen kommen praktisch nicht mehr vor. Rechtliche Prüfungen spielen sich fast nur mehr über virtuelle Datenräume ab. Der elektronische Rechtsverkehr mit Gerichten und Verwaltungsbehörden ist heute schon Realität, und das papierlose Büro – vor einigen Jahren noch eine wenig realistisch scheinende Vision – ist inzwischen für Anwälte durchaus möglich. Zu den Sozietäten, die mit all diesen Themenaspekten keine Berührungsängste haben, gehört Clifford Chance, eine der zehn größten Wirtschaftskanzleien der Welt. „Alles, was uns als globaler Anwaltssozietät hilft, mit unseren Mandanten über Grenzen und Zeitzonen hinweg noch besser zusammenzuarbeiten und große Mengen juristischer Daten oder repetitiver Prozesse digital schnell und effizient zu bewältigen, ist willkommen“, sagt Hanno Daniel, Continuous Improvement Manager. KI (Künstliche Intelligenz)-Systeme sind für Daniel „hervorragende Datenspürhunde“: „Sie erkennen in Schriftsätzen wiederkehrende Muster, können die entsprechenden Daten automatisiert extrahieren, analysieren und für den weiteren Mandatsprozess aufbereiten.“

Digital generierte Geschäftsmodelle

»Artificial Intelligence bedeutet nicht das Ende des Anwaltsberufs. AI bringt neue Möglichkeiten. Die Rechtsbranche sollte diese ergreifen.«

Andreas Geyrecker, Leiter Product Management, LexisNexis Austria

„Insbesondere aber stellt die fortschreitende Digitalisierung ein wesentliches Geschäftsfeld für anwaltliche Leistungen, zum Beispiel im Bereich des Datenschutzrechts, dar“, betont Peter Vcelouch, Geschäftsführer bei Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Rechtsanwälte (CHSH). Auch Stefan Artner, Partner bei Dorda Rechtsanwälte, sieht im Beratungsbreich Datenschutz ein sehr aktuelles Thema, auch aufgrund des zeitnahen Inkrafttretenes der Datenschutz-Grundverordnung: „Da geht es darum, welche Rechte und Pflichten ein Unternehmen im Hinblick auf Kundendaten treffen, sowie um den Schutz von Immaterialgüterrechten.“ Zu finden sind Antworten auf neue Fragen, die mit der Digitalisierungswelle über die Branche hereinschwappen, etwa auch im Bereich der Beratung von Crowd-Funding-Plattformen und Unterstützung bei deren Markteintritt, vor allem im Hinblick auf regulatorische Themen. Dass die Digitalisierung bereits recht erfolgreich am Markt bestehende Produkte und Geschäftsmodelle hervorbringt, die rechtliche Prüfungen nicht mehr durch Anwälte, sondern ausschließlich durch moderne Technologie anbieten, betont Gudrun Stangl, Chief Operating Officer (COO) bei der Wirtschaftskanzlei Schönherr: CDiese Geschäftsmodelle sorgen für völlig veränderte Wettbewerbsverhältnisse. Ein Engagement in Start-Ups oder neue Markteilnehmer kann ein Weg für Kanzleien sein, um Zugang in diese Bereiche zu erhalten.“ 

Kollege Ross

Einig ist man sich in der Fachwelt, dass Musterverträge für viele Standardfälle von digitalen Plattformen deutlich kostengünstiger bedient werden können als von spezialisierten Juristen. Wie weit die Reise maschineller Intelligenz gehen kann, wissen etwa die Anwälte der Insolvenzabteilung von BakerHostetler. Die US-amerikanische Anwaltskanzlei setzte ihren Mitarbeitern 2016 Kollege Ross ins Büro am Rockefeller Plaza. Der dazumal erste „Robo-Anwalt” der Welt basiert auf dem IBM Supercomputer Watson und wird insbesondere eingesetzt, wenn es darum geht, tausende Seiten Unternehmensrecht effizient zu durchforsten. Laut Herstellerfirma Ross Intelligence ist das digitale Hirn zudem in der Lage, rechtliche Fragen präzise zu beantworten und passende Verweise auf Gesetzestexte zu liefern. Ross dürfte seine Sache gut machen. Er kommt bereits in rund 20 US-Anwaltskanzleien zum Einsatz.

Schenkt man einer Studie der  Boston Consulting Group („How Legal Technology Will Change the Business of Law“) Glauben, könnten „digitale Anwälte“ künftig 30 bis 50 Prozent der Aufgaben von Junior-Anwälten übernehmen. Also ein Anlass für Ängste, von einer Maschine ersetzt zu werden? Andreas Geyrecker, Leiter Product Management bei LexisNexis Austria (u.a. Anbieter von Fachdatenbanken mit Rechtsinformationen), beschwichtigt. „Artificial Intelligence bedeutet nicht das Ende des Anwaltsberufs. AI bringt neue Möglichkeiten. Die Rechtsbranche sollte diese ergreifen.“ Oder wie es Oberlechner ausdrückt: „Man muss sich nicht fürchten – als guter Fachanwalt.”

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