Das Wien des Udo Proksch

Wien Proksch
Wien Proksch(c) APA (ROBERT JAEGER)
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Der Drahtzieher der Lucona-Affäre, des größten Politskandals der Zweiten Republik, hat es verstanden, der Stadt und ihren Institutionen seinen Stempel aufzudrücken. Eine Spurensuche.

Udo Proksch hat sechs Menschen ermordet. Sechs Besatzungsmitglieder der „Lucona“, die im Indischen Ozean ihren Tod fanden, als das Schiff am 23. Jänner 1977 gesprengt wurde: Teil eines raffinierten Versicherungsbetruges, der Proksch um 212 Millionen Schilling – rund 15,4 Millionen Euro – reicher machen hätte sollen.

Wer sich auf eine Spurensuche nach der vielleicht schillerndsten Persönlichkeit im Wien der 60er, 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts begibt, sollte das nicht vergessen. Denn einfach ist es nicht, in der Erinnerung an einen Menschen klar zu sehen, der schon zu Lebzeiten über alle Maßen gestrahlt und geblendet, fasziniert und entsetzt hat.

Prokschs Leben, das vor neun Jahren bei einer Herztransplantation während seiner Haft in Graz sein Ende fand und das Robert Dornhelm in seinem neuen Film „Udo Proksch – Out of Control“ ab kommender Woche wieder aufrollt, steht heute für viele Dinge: Dafür, wie schnell jemand in der Wiener Gesellschaft nach ganz oben kommen kann. Dafür, welche zersetzende Wirkung Freunderlwirtschaft und „eine Hand wäscht die andere“-Mentalität auf die Moral eines scheinbar stabilen Systems haben kann. Und dafür, dass nicht jeder Clown harmlos ist – selbst, wenn am Anfang alle über ihn lachen. „Er war ja eigentlich immer ein Scherzbold, der nichts und niemanden ernst genommen hat – bis er dann wirklich vor Gericht gekommen ist“, sagt Hans Pretterebner, dessen Buch „Der Fall Lucona“ 1991 schließlich Prokschs Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen Mordes zur Folge hatte.

Dennoch hat Udo Proksch dem Wien seiner Zeit seinen Stempel aufgedrückt wie kaum ein Zweiter. Ob er in seiner edlen k. u. k.-Zuckerbäckerei Demel Hof hielt, nachdem er mit einem vom Bundesheer geliehenen Panzer vorgefahren war, ob er sich mit Künstlern und Intellektuellen im Gutruf zum Mittagessen traf oder in Militäruniform durch die Innenstadt stolzierte: Immer versprühte er eine Energie, die die Menschen um ihn fesselte – und seine Schwächen mehr als ausblenden konnte. Nicht wenige, die damals dabei waren, wünschen sich heute insgeheim, es gäbe wieder so einen wie ihn: Einen „bunten Vogel“ wie Proksch, der den bürgerlichen Trott durch Revoluzzergehabe und siegesbewusste Frechheit aufbricht, der durch kreativ gelebte Großmannsucht die Illusion weltmännischen Flairs versprüht. Fast so, als ob er das Urbanste gewesen wäre, das der Stadt je passieren hätte können.


Der opulente Herr des Demel. Zum Beispiel Attila Dogudan, Eigentümer des Edel-Caterers Do & Co – und seit 2002 auch des Demel. Dem Traditionsbetrieb würde heute ein Chef vom Typus Prokschs wieder gut tun, findet Dogudan: „Hier würde ein ähnlich Gestrickter mit derselben opulenten Art hergehören“. Man könne nicht abstreiten, dass der Demel nicht mehr das sei, was er etwa unter Proksch war – „Wir haben uns darauf konzentriert, einen defizitären Betrieb zu sanieren“, sagt Dogudan.

Auch Prokschs erste Ehefrau, die ehemalige Burgschauspielerin Erika Pluhar, geht heute nicht mehr in den Demel. „Unter Udo ist dort noch alles selber gemacht worden, die Demelinerinnen sprachen in der dritten Person, es war ein Traditionsbetrieb“. Heute dagegen würden sogar die Mehlspeisen anderswo gemacht. „Eine Touristenfalle ist der Demel geworden“, urteilt Pluhar.

Die Geschäftsführung im Demel hat Udo Proksch 1972 übernommen. „Er war eigentlich kein schlechter Chef“, erzählt Stefanie Krenn. Die Heute 60-Jährige war mehrere Jahrzehnte lang Demelinerin. „Er hat immer peinlich genau darauf geachtet, dass die Gäste gut betreut werden – Unachtsamkeiten des Personals hat er nicht akzeptiert“. Später freilich, sagt Krenn, sei er aus der Bahn geraten. Später, als oben in Prokschs „Club 45“ nackte Frauen auf den Tischen saßen, als sich hinter den schwarzen Vorhängen im 3. Stock des Demel-Hauses am Kohlmarkt würdige Herren aus der Sozialdemokratie, aus Kunst und Medien versammelten.

„Ursprünglich war die Idee, ein Club nach dem Vorbild englischer Gentlemen“, sagt heute Bruno Aigner, Sprecher von Bundespräsident Heinz Fischer. Eine Idee, die von Anfang an nicht funktionierte: „Aus einer harmlosen Männerrunde wurde schnell ein Club des gegenseitigen Nutzens“, sagt Aigner. Auch hohe Funktionäre aus der sozialdemokratischen Regierungsspitze sonnten sich im Licht von Prokschs Persönlichkeit – und halfen ihm später, seine Verbrechen zu vertuschen. Außenminister Leopold Gratz wurde dafür wegen falscher Zeugenaussage verurteilt, er und Innenminister Karl Blecha traten in der Folge der Lucona-Affäre 1989 zurück.

Bruno Aigner hatte den „Club 45“ SPÖ-intern schon 1981 als „Sündenfall der Sozialdemokratie“ und „Eiterbeule“ bezeichnet. „Der Club hat einen moralischen Einbruch in der Zweiten Republik dargestellt“, sagt Aigner heute. Auch der Journalist Gerald Freihofner, der mit Hans Pretterebner zu den Aufdeckern der Affären rund um Udo Proksch zählt, sieht in den Vorgängen im und um den Demel eine Zäsur: „Proksch hat Wien definitiv geprägt – aber zum Negativen“.


Schweinezüchter mit Karriere. Dabei hat Prokschs Leben in Österreich denkbar bescheiden begonnen: Seine erste Ausbildung begann der 1934 als Rudolf Proksch in Rostock geborene Sohn überzeugter Nationalsozialisten 1948 in Anif bei Salzburg: eine landwirtschaftliche Lehre als Schweinezüchter. Erst 1954 begann er nach einer Reihe von Gelegenheitsjobs an der Wiener Akademie für angewandte Kunst seine Ausbildung als Industriedesigner. Als solcher sollte Proksch dann auch seine ersten – und wie Kritiker sagen: seine einzigen legitimen – Erfolge feiern.

Denn ab 1957 durfte Proksch Brillen entwerfen. Modische, sportliche Plastikbrillen, die unter Labels wie „Carrera“, „Viennaline“ oder seinem Pseudonym Serge Kirchhofer Prokschs ruf als genial-kreativen Kopf begründet haben – und so späteren, wesentlich skurrileren Ideen und Plänen Gewicht verliehen. Zentrum von Prokschs kreativem Schaffen war sein Atelier in der Walfischgasse 12. Entwürfe stapelten sich dort neben Skulpturen, Plakaten und Fotos in einem kreativen Chaos. Nachdem Prokschs erste Ehe mit Erika Pluhar gescheitert war, übersiedelte er sogar eine Zeit lang in das Haus, das heute eine Kletterhalle des österreichischen Alpenvereins beherbergt.


„Mehr Heimat ging gar nicht.“ Gemeinsam mit Pluhar hatte Proksch Anfang der 60er Jahre in einer Wohnung in der Weyrgasse im dritten Bezirk gelebt. „Aber er ist oft stundenlang nur durch die Innenstadt flaniert, immer gern in vielen Kaffeehäusern und Lokalen gewesen“, sagt Pluhar: „Er hat diese Stadt geliebt“.

Auch Prokschs zweite Frau Daphne Wagner erzählt, dass der gebürtige Deutsche in Wien seine Bestimmung gefunden habe: „Mehr Heimat ging gar nicht.“ Die Eden-Bar in der Liliengasse, das Restaurant Oswald & Kalb in der Bäckerstraße oder der „Weisse Rauchfangkehrer“ in der Weihburggasse: überall war Udo Proksch gern gesehener Gast – auch wenn der Militärfanatiker immer eine geladene Waffe mit sich führte und gerne damit prahlte. „Geschichten, wie dass Udo Proksch im Oswald & Kalb einen Luster von der Decke geschossen hat, waren damals an der Tagesordnung“, erinnert sich Journalist Freihofner. Andererseits genossen die Gastwirte Prokschs Freigiebigkeit: „Wenn der Udo wo war, hat er immer 1000 Schilling bezahlt, egal, was er konsumiert hat“, sagt Dogudan, bei dem Proksch nach der Do & Co-Gründung auch öfter zu Gast war.

Ein weiterer Fixpunkt in Prokschs Leben war das Gutruf, das 1972 von seinem Freund Rudolf Wein übernommen wurde. Dort traf Proksch regelmäßig auf Zeitgenossen, wie Helmut Qualtinger oder Niki Lauda. „Schweinsbraten mit Knödeln – und viel davon“ habe er immer gegessen, erinnert sich die Journalistin Eva Deissen. Auch sie war damals oft im Gutruf – aber nicht mit Proksch, wie sie betont. „Ins Gutruf ist man nie mit jemandem gegangen – man hat dort nur alle getroffen.“ Wenn sie sich mit Proksch unterhalten hat, habe er vor allem über alltägliche Dinge gesprochen, näher habe Deissen ihn nie kennengelernt. „Aber das hat niemand. Ganz egal, wie sich jemand mit ihm unterhalten hat – durchschaut und verstanden hat ihn keiner.“

Das Lokal in der Milchgasse gibt es noch immer, es gehört unter anderen dem ehemaligen ORF-Generalindendanten und Proksch-Freund Thaddäus Podgorski. Er will nicht über Proksch sprechen: „Sie verstehen, die ganze Sache hängt uns immer noch nach.“ Nur soviel: Proksch sei im Gutruf ein Gast gewesen „wie jeder andere auch.“


Tod im Grazer „Exil“. Bei aller Liebe zu Wien war es Udo Proksch aber nicht vergönnt, seinen Lebensabend in der Stadt zu verbringen: Nach einer fast zweijährigen Flucht auf die Philippinen wird Proksch 1991 im Grauen Haus zu 20 Jahren Haft verurteilt, das Berufungsgericht erhöht später auf lebenslang. Von 1992 bis zu seinem Tod 2001 verbringt er in der Justizanstalt Graz-Karlau. Dort erinnert man sich an ihn als einen „ruhigen Häftling“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2010)

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