Fußball in der Stadt Immanuel Kants

Fußball, frei von der Kritik der reinen Vernunft: Kaliningrad ist eine der elf WM-Städte. Kant wäre begeistert.
Fußball, frei von der Kritik der reinen Vernunft: Kaliningrad ist eine der elf WM-Städte. Kant wäre begeistert. (c) imago/Russian Look (AirPano LLC)
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Vor der WM wurde die 450.000-Einwohner-Stadt generalüberholt, 130.000 Gäste werden erwartet. Nagelprobe für Sicherheitspersonal und Touristiker ist das Spiel am Samstag.

Kaliningrad. Eigentlich ist Andrej Jermak begeisterter Hobbyfußballer. Doch seit feststand, dass die Fußball-WM auch nach Kaliningrad kommt, fehlt ihm die Zeit, um dem Ball nachzulaufen. Der 39-Jährige leitet die Abteilung für Tourismus der Gebietsregierung, seine offizielle Amtsbezeichnung ist hier „Minister“. In den vergangenen Wochen war er mit den Vorbereitungen für die WM beschäftigt: Man entwarf neue touristische Rundgänge durch die historische Stadt für Fans, überprüfte Restaurants auf ihren Qualitätsstandard und trainierte das Servicepersonal im Umgang mit ausländischen Gästen.

Am Samstag findet Kaliningrads Nagelprobe statt. Um 21 Uhr Ortszeit (die Uhren gehen hier eine Stunde vor Moskau und damit eine nach der mitteleuropäischen Zeit) treffen Kroatien und Nigeria in der russischen Exklave 1235 Kilometer westlich von Moskau aufeinander. Für die WM wurde ein neues Stadion mit 35.000 Sitzplätzen auf einer sumpfigen Insel im Fluss Pregel errichtet. Die Fanzone fasst 15.000 Menschen und liegt in der Nähe am Zentralplatz – neben dem klotzigen Haus der Räte, einer Bauruine aus der Sowjetzeit, die nie bezogen wurde.

Renovierungsboom zur WM

In Kaliningrad, dem früheren Königsberg, sind Infrastrukturinvestitionen deutlich sichtbar. Lange Jahre wurde im Zentrum nichts renoviert, rundherum wucherten die Plattenbauviertel. Erst seit den Nullerjahren hat man die frühere Altstadt aus preußischer Zeit rekonstruiert bzw. im historisierenden Stil neu aufgebaut. Entstanden sind Orte wie das Fischerdorf am Pregel, die den Geist des alten Königsbergs wiederauferstehen lassen sollen. Der nahe Dom mit dem Grabmal des Philosophen Immanuel Kant ist ein Touristenmagnet; das Gotteshaus wird heute als Konzerthalle für klassische Musik und Orgelkonzerte genutzt.

Für die WM hat man noch einmal wichtige Straßen, Parks und ganze Häuserzeilen erneuert. Kaliningrad mag heute in Russland liegen, es rühmt sich jedoch seines historischen Erbes, als europäisch und offen.

Hier finden nur Gruppenspiele statt – dafür recht hochrangige. Unter anderem werden auch britische Fans zum Schlager gegen Belgien erwartet. Diesen sieht der Tourismusminister gelassen entgegen. „Britische Fans kommen oft nach Russland“, sagt er. „Sie wissen, dass wir hier strenge Sicherheitsvorkehrungen haben.“ Ein paar Kopfschmerzen bereitet ihm hingegen das Aufeinandertreffen von Serben und Kroaten am heutigen Samstag. Denn die serbische Mannschaft ist im Ostseebadeort Swetlogorsk stationiert – und mit ihnen Schlachtenbummler, die sich auch in Kaliningrad aufhalten werden. Damit es vor dem Spiel gegen Nigeria zu keinen Zusammenstößen kommt, habe man das Sicherheits- und Servicepersonal auf „deeskalierende Maßnahmen“ eingeschworen, berichtet Jermak.

Insgesamt rechnet man mit bis zu 130.000 Besuchern während der nächsten Wochen. Logistisch ist der westlichste WM-Standort trickreich. Schließlich muss man aus Russland kommend durch Litauen oder Polen fahren – für Russen bedeutet das angesichts des Transits durch EU-Länder eine Visumspflicht. Fans, die sich bereits in Russland aufhalten, werden eher mit dem Flugzeug anreisen. Anhänger aus Deutschland oder Polen können, sagt Jermak scherzhaft, „zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Auto, dem Bus oder mit der Jacht anreisen“. Von Warschau sind es ja nur knapp 380 Kilometer.

Traditionelle Ostseebäder

Die Region will künftig Vorreiter für die erleichterte Einreise nach Russland sein. Ab 1. Juli 2019 soll probeweise ein elektronisches Visaregime eingeführt werden. Die Behörden erwarten sich einen wirtschaftlichen Aufschwung und mehr Geschäftsreisende. Doch unter der Liste der Länder, die auf diese Errungenschaft zurückgreifen können, finden sich vorerst keine europäischen Staaten.

Die meisten Besucher bleiben für eine Nacht, schätzen die Behörden. Das Gebiet Kaliningrad ist annähernd so groß wie die Steiermark und kann leicht erkundet werden: Insbesondere die Strandbäder an der Bernsteinküste sind als Ausflugsziele beliebt – und bieten Erholung vom WM-Zirkus. Vorerst geht es dieser Tage nur um eines: den Fußball.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2018)

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