St. Peter: Erzabt wurde vom Opfer zum Täter

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Im Erzstift St. Peter herrscht Fassungslosigkeit über die Fälle von sexuellem Missbrauch, die 40 Jahre zurückliegen. Nun sucht man weitere potenzielle Opfer.

SALZBURG.Bruno Becker, seit dem vergangenen Mai Erzabt des Stiftes St. Peter in Salzburg, hat jahrzehntelang ein dunkles Geheimnis mit sich getragen: Im Alter von 24Jahren verging er sich als Priesterseminarist bei einem Radausflug in einer Höhle des Untersbergs an einem damals 13-jährigen Buben. Er, der im Alter von zehn Jahren selbst von einer Vertrauensperson missbraucht worden war, war als angehender Priester selbst Täter geworden.

Er hatte mit dem 13-Jährigen reden wollen, weil er von möglichen Übergriffen von zwei Mitbrüdern auf das Kind erfahren hatte. Doch die Situation kehrte sich um, er klärte nicht auf, sondern machte den Buben erneut zum Opfer. Danach breitete sich für 40 Jahre der Mantel des Schweigens über die Vorfälle.

Am Montag führte die Tat von damals zum Rücktritt des Erzabtes. „Unser Mitgefühl gilt dem Opfer. Wir zollen dem Betroffenen höchsten Respekt, dass er sein Schweigen gebrochen hat. Seine Aussage hilft uns, das Vorgefallene aufzuarbeiten“, erklärte Prior Korbinian Birnbacher, der seit dem Rücktrittsangebot des Erzabtes die Geschäfte des ältesten Klosters im deutschsprachigen Raum führt, am Dienstag. Prior Korbinian appellierte an mögliche weitere Opfer von sexuellem Missbrauch, sich zu melden.

Patres als Sextouristen

Der heute 53-jährige Mann, der sich im vergangenen Jahr an die Ombudsstelle für Opfer sexuellen Missbrauchs der Erzdiözese Wien gewendet hatte, erhebt aber nicht nur gegen Erzabt Bruno Becker schwere Vorwürfe. Zwei Patres des Stifts sollen ihn Ende der 1960er-Jahre immer wieder zu sexuellen Handlungen genötigt haben, schilderte der Mann in einem Interview.

„Im Kloster herrscht Fassungslosigkeit“, sagte Prior Korbinian. Unter den 22 Mitbrüdern gebe es nur noch ganz wenige, die sich an die Zeit von damals erinnern. Man munkelte von Eifersucht und Streitereien zwischen den beiden Patres, bestätigte der Prior. Doch konkrete Hinweise habe es damals nicht gegeben. Das Opfer habe nicht im damals noch existierenden Internat des Klosters gelebt. Die beiden Patres wären in den Jahren 1974 und 1975 aus dem Kloster ausgeschieden. Beide wurden dann 2005 in Marokko als Sextouristen festgenommen, einer von ihnen wurde wegen schweren Missbrauchs an minderjährigen Marokkanern rechtskräftig verurteilt. Der zweite, er wirkte bis zu seinem Tod vor wenigen Wochen als Seelsorger in Bayern, wurde nicht verurteilt.

Im Stift habe man von dieser Angelegenheit nichts mitbekommen, sagte der Prior. Er habe erst vor wenigen Wochen davon erfahren und dann umgehend den Bischof in Passau informiert.

„Traue jedem alles zu“

Von den Vorwürfen gegen den Erzabt wurde Prior Korbinian am 11.Februar in Kenntnis gesetzt. Mit Erzbischof Alois Kothgasser habe es dann gleich am 12. Februar ein Gespräch darüber gegeben.

Das Stift ist nicht dem Erzbischof, sondern den Ordensoberen unterstellt. Im Stift wäre die heikle Causa am 17. März Thema eines Konvents gewesen – doch da kam die Berichterstattung in den Medien bereits zuvor.

Thematisiert wurde bei der Unterredung mit dem Erzbischof auch das „schriftliche Ausgleichsangebot“ für das Opfer. Bei einem Treffen in der Ombudsstelle am 22.November vergangenen Jahres in Wien hatte der Salzburger Geld gefordert, damit er mit den Vorwürfen nicht an die Öffentlichkeit gehe, schilderte der Prior. Der Erzabt hatte dem Opfer schließlich 5000 Euro geboten. „Über diese Höhe darf ein Erzabt alleine verfügen“, begründete der Prior den Betrag. Ob das angemessen sei oder nicht, ließen sowohl Korbinian als auch der Leiter der Salzburger Ombudsstelle, Prälat Johann Reißmeier, offen. Kothgasser hatte in einem ORF-Interview erklärt, dass diese angebotene Zahlung von 5000 Euro als „Schmerzensgeld“ gedacht gewesen sei.

Dass sich Erzabt Bruno Becker in seiner Jugend nur ein einziges Mal an einem Buben vergangen hat, glaubt Prior Korbinian seinem Mitbruder: „Wir haben das in einer ans Eingemachte gehenden Auseinandersetzung geklärt. Ich glaube ihm das.“ Ob es weitere Fälle im Bereich des Klosters gibt, will Prior Korbinian jetzt aber auch nicht mehr ausschließen: „Ich traue mittlerweile jedem alles zu“, meinte er am Dienstag.

AUF EINEN BLICK

Bruno Becker. Er war seit dem vergangenen Mai Erzabt des Stiftes St. Peter in Salzburg. Im Alter von 24 Jahren verging er sich als Priesterseminarist bei einem Radausflug in einer Höhle des Untersbergs an einem damals 13-jährigen Buben. Becker war im Alter von zehn Jahren selbst missbraucht worden. [APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2010)

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