Das liebe Vieh und das liebe Geld

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Rassehundeausstellung Erfurt 06 05 17 Erfurt Messehalle Rassehundeausstellung im Bild Pudel im(c) imago/Karina Hessland (KH)
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Den Österreichern sind ihre Hunde und Katzen viel wert. Im Leben und über den Tod hinaus ist das Haustier Familienmitglied – und Mittelpunkt einer Milliardenindustrie.

Nicht der braunhaarige Dackelmischling, sondern sein Frauchen muss diesmal vor der Tür warten. Das ist im Doggy Studio Hausregel für die Hundebesitzer. Im Wartezimmer, umgeben von Hundeshampoos und Tierratgebern, serviert ihnen Sarah Thalhammer einen Kaffee. Dann gleitet die Milchglastür zu. Besser, sie sehen nicht, wie sie ihre Vierbeiner in der dahinterliegenden Waschwanne abduscht und anschließend am Halsband am großen Galgen über dem Trimmtisch für den Haarschnitt anbindet.

Ihren Frisörsalon am Rand von Baden gibt es schon länger. Aber bis vor gut einem Jahr wurde hier Menschenhaar geschnitten. Im Mai zog Thalhammer mit ihrem Doggy Studio ein. „Der Mitbewerb ist groß“, sagt sie. „Aber solche wie wir, die das nicht in der Privatwohnung im Hinterhof zu unverschämt niedrigen Preisen machen, gibt es wenige“, ergänzt Martin Kowatsch schnell.

Kowatsch ist der Geschäftsmann, der Sprecher und der Chef des Hauses. Von ihm stammt die Idee für das Doggy Studio. Vor acht Jahren wollte sich der Manager selbstständig machen, recherchierte und fand ein Geschäftsmodell, das so stark expandierte wie wenige andere: Tierfachmärkte. Heute betreibt er im Speckgürtel rund um Wien zehn von 350 Filialen der deutschen Futterhaus-Kette. Daneben will er mit Hundesalons und Hundefotografen expandieren. Bald sollen zwei weitere Standorte dazukommen, die Nachfrage sei da. Das sieht auch die deutsche Leitung so. In naher Zukunft will sie auf 700 Märkte wachsen – allein in Deutschland.

Das Geheimnis des Erfolgs? „Vermenschlichung“, sagt Kowatsch, „was immer man genau darunter versteht.“ Seine Stammkunden ließen jeden Monat rund 45 Euro für Futter, Spielzeug und Leckerlis im Geschäft. Und sie seien – anders als die Kunden im Supermarkt oder im Möbelhandel, wo er früher arbeitete – immer gut gelaunt, „weil sie für ihr Alter Ego einkaufen“.

125 Mrd. Dollar werden Tierbesitzer 2018 weltweit laut dem Analyseunternehmen Euromonitor für das Wohl ihrer Haustiere ausgeben. Wohlgemerkt sind da noch keine Tierarztrechnungen oder der Gang zum Tiermasseur, Bewegungstrainer oder ins Doggy Studio inkludiert, obwohl das alles Wachstumsfelder sind.


Lieb, treu, fotogen. Paula Flores von Euromonitor gibt Kowatsch recht: „Seit Jahren vermenschlichen Besitzer ihre Haustiere und behandeln sie wie einen Partner, Freund und Familienangehörigen.“ Jetzt, da sich neben Älteren immer mehr ledige Millenials Tiere halten, werde der Trend stärker.

Für Flores ist eine Umfrage der britischen Bank Sainsbury's bezeichnend für unser heutiges Verhältnis zum Haustier: 42 Prozent der Hunde- und Katzenbesitzer sagten darin, mehr Fotos von ihrem Tier als von ihrem Partner zu schießen. Die Hälfte von ihnen zieht die Katze oder den Hund generell menschlicher Gesellschaft vor. „Die Art und Weise, wie Besitzer ihre Beziehung zu ihrem Haustier leben, hat den Herstellern und Händlern neue Möglichkeiten eröffnet.“

Wie das in der Umsetzung aussieht, kann man in Kowatschs Futterhaus in Baden beobachten. Seine und andere Ketten mit klingenden Namen wie Fressnapf oder Tierkönig haben das großzügige US-Geschäftskonzept übernommen. Wie im Supermarkt können Kunden ihr Wägelchen durch die langen Gänge schieben und für ihr Tier regional, bio, art- und altersgerecht einkaufen. „Genau wie Menschen beim eigenen Essen immer länger die Zutaten studieren, tun sie es beim Einkauf für ihr Haustier“, sagt Marktanalystin Flores.

Tierfutter muss heute nicht nur schmecken, es muss auch nützen. Da stehen Zahnpflegewasser und Multivitamintabletten für den Hund neben Katzenfutter gegen Haarverlust, Diabetes und Harnsteine. Wie im normalen Supermarkt leuchtet einem die Frischeinsel entgegen – nur dass darauf Leckerlis in allen Formen und Farben drapiert sind. Und wie im normalen Supermarkt gibt es eine Tiefkühlabteilung – nur dass hier Rind-, Rentier- und Pferdefleisch für die Hundebesitzer liegen, die frisch kochen wollen.

1,5 Millionen Katzen und 700.000 bis 800.000 Hunde gibt es in Österreich. Das sind Schätzungen. Gesicherte Zahlen gibt es nicht. Was aber gesichert ist: Die selbstständigen Zoohändler haben wenig davon. 600 bis 700 sind es laut Wirtschaftskammer noch. Das lukrative Geschäft mit dem Ankauf von Katzen und Hunden nehmen ihnen die Züchter ab. Das noch lukrativere Geschäft mit Futter und Spielzeug geht an den Drogerie- und Lebensmittelhandel, an die Baumärkte und an Menschen wie Kowatsch.

2017 gaben die Österreicher laut Handelsforscher Andreas Kreutzer knapp 1,2 Mrd. Euro für ihre Haustiere aus – vier Prozent mehr als im Jahr davor und zwei Drittel davon nur für Futter und Utensilien. „Die Zeiten, in denen Haustiere mit den Essensresten gefüttert wurden, sind wirklich lang vorbei“, sagt Kreutzer.


Schokoriegel und Dosenfutter.
In Bruck an der Leitha sitzt ein internationaler Konzern, der das Potenzial vor Langem erkannt hat. Die Rede ist von Mars. Den Namen bringt man eher mit Schokoladeriegeln als mit Dosenfutter in Verbindung. Tatsächlich aber dominiert der US-Riese gemeinsam mit Nestlé den globalen Markt für Hunde- und Katzenfutter.

Seit 1966 ist Mars in Österreich. Seit 1985 steht das Werk in Bruck an der Leitha, von wo aus Dosen und Frischebeutel von Marken wie Whiskas, Sheba, Cesar oder Pedigree in 70 Länder exportiert werden. Bei Umsätzen ist das Unternehmen zugeknöpft. Das Geschäft laufe gut, heißt es nur. So gut, dass das niederösterreichische Werk in den vergangenen fünf Jahren um 50 Mio. Euro erweitert wurde. Weltweit macht Mars 35 Mrd. Dollar Umsatz. Das meiste setzt man mittlerweile mit Süßwaren um – und mit Tiernahrung. Die Abteilung Petcare hat 75.000 Mitarbeiter in 50 Ländern.

Fressen ist nicht alles. Ein kleiner Teil der 1,2 Mrd. Euro fließt in Hermann Hahners Arbeitsplatz. Hahner ist der Chef und einzige Vollzeitmitarbeiter des 2011 gegründeten Tierfriedhofs. Gegenüber vom Tor zwei des Zentralfriedhofs mit seinen fast drei Millionen Toten haben hier 643 Tiere ihre letzte Ruhestätte. „Hauptsächlich Hunde, Katzen, Kaninchen, Hamster, Meerschweinchen. Und eine Schildkröte“, sagt er. Er kennt sie und die Geschichten ihrer Halter alle.

Früher war Hahner als Beerdigungsleiter für die 46 städtischen Friedhöfe zuständig. Als der Haustierfriedhof auf Drängen von Tierliebhabern ins Leben gerufen wurde, habe das sein Interesse geweckt. Und heute noch überrasche ihn der Kontrast zu seiner früheren Arbeit. Wird hier ein geliebter Golden Retriever zu Grabe getragen, nehmen schon einmal 38 Menschen an der Beerdigung teil. „Bei einem normalen Begräbnis gehen teilweise zwei, drei Personen hinter dem Sarg.“ Die Gräber, die in hübsch begrünten Kreisen angelegt sind, sind fast alle perfekt gepflegt. Das, sagt Hahner, sei beispielhaft für unsere Zeit. „Nach den Gräbern ihrer Tiere schauen die Menschen immer mehr. Nach denen ihrer Angehörigen immer weniger.“

Die Beerdigungen selbst unterscheiden sich aber nicht wesentlich von denen nebenan. Es gibt einen Aufbahrungsraum, in dem ein Kerzchen neben dem Sarg brennt, bevor die Prozession zum Grab zieht. Es gibt einen Steinmetz, einen Floristen, Musik und Fotos. Auf Wunsch begleitet ein Priester die Verabschiedung. Oder ein Sänger, der für den Lieblingshund das „Ave Maria“ singt. „Je nachdem, was der Kunde haben will.“ Je nach Wunsch und Gewicht des Haustiers kann ein Grab auf zwei oder fünf Jahre für 230 bis gut 600 Euro gemietet werden. Die Plätze sind gefragt. Diesen Sommer wird Hahner eine weitere Gräberreihe eröffnen müssen.

Ein Besuch bei Heinz Heistinger ist günstiger. Zu ihm kommen die Tiere, solang sie noch lebendig sind. Heistinger ist Tierarzt im niederösterreichischen Lilienfeld. „Die Erkrankungen und die Lebenserwartungen haben sich in keiner Weise signifikant geändert“, sagt er.

Das gelte aber nicht für die Beziehung der Menschen zu ihren Haustieren. Das öffne Tür und Tor für das „Geschäft mit der Angst“. Nach Ferndiagnosen im Internet würden etwa nutzlose Tabletten aus gepresstem Futterkalk fürs Tier bestellt. Eine zunehmende Zahl an Tierheilpraktikern verdiene mit. Heistinger erinnert sich an den Fall einer lahmenden Stute. Heilmasseure wurden hinzugezogen – ohne Erfolg, erst dann rief man den Tierarzt. „Die Leute geben ein Vermögen für Dinge aus, die nichts nutzen.“

Yvonne Mannsberger weiß, wo ihr Beruf aufhört und der des Tierarzts beginnt. Die 24-Jährige hat sich neben ihrer Arbeit im Tierheim zur Hundemasseurin und Hundebewegungstrainerin ausbilden lassen. Rechtlich darf sie nur gesunde Hunde durchkneten – das kranke Tier ist vom Gesetz her dem Arzt vorbehalten.


Auch Hunde sind verspannt.
„Ich kenne fast keinen Hund, der nicht verspannt ist“, sagt Mannsberger. Die Wienerin hat sich in vier Jahren eine Stammkundschaft aufgebaut, die wöchentlich zu ihr kommt. Eine Stunde kostet 40 Euro. Die Hundebesitzer kämen mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen: Die einen wollen Entspannung und Wellness, die anderen spezielle Beschwerden loswerden.

„Ich will das Kind nicht mit dem Bad ausgießen. Massagen oder osteopathische Behandlungen können sinnvoll sein“, sagt Heistinger. „Aber immer nur als Ergänzung.“

Sonst komme es zu skurrilen Episoden wie im Fall der lahmenden Pferdestute. Als sie endlich ein Tierarzt zu Gesicht bekam, wurde klar, dass sie keinesfalls an verklebten Sehnen litt, wie das der Tierheiler diagnostiziert hatte. Dem Pferd steckte schlicht ein Nagel im Huf.

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In Zahlen

Millionen Katzen
und 700.000 bis 800.000 Hunde gibt es laut Schätzungen in Österreich.

Mrd. Euro.
gaben die Österreicher 2017 für ihre Haustiere aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2018)

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