Großer österreichischer Staatspreis für Florjan Lipuš

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Der 81-jährige Kärntner Slowene, "der sein ganzes Leben an ein und demselben einzigen Text schreibt", erhält die höchste kulturelle Auszeichnung der Republik. Vor Jahren war dieser Schritt noch an der Sprache gescheitert.

Ein Großer Österreichischer Staatspreis für Literatur in slowenischer Sprache: Mit Florjan Lipuš bekommt ein Kärntner Slowene und ein wortmächtiger Advokat seiner Minderheit die höchste kulturelle Auszeichnung der Republik. Sein Schaffen ist maßgebliches Zeugnis für die besondere Qualität von Literatur in Minderheitensprachen, seine Auszeichnung damit mehr als die Würdigung einer Persönlichkeit.

Florjan Lipuš wurde am 4. Mai 1937 in Lobnig/Lobnik bei Eisenkappel/Zelezna Kapla geboren. Er musste als Kind mitansehen, wie seine Mutter - nachdem sie eine als Partisanen verkleidete Gruppe von Gestapo-Männern bewirtet hatte - vor seinen Augen verhaftet wurde. Sie wurde im KZ Ravensbrück ermordet, während sein Vater in der Wehrmacht dienen musste.

Staatspreis

Der Große Österreichischen Staatspreis wurde 1950 geschaffen und wird auf Vorschlag des Österreichischen Kunstsenats ohne festgelegtes Rotationsprinzip innerhalb der Sparten Literatur, Musik, bildende Kunst und Architektur für ein künstlerisches Lebenswerk vergeben.

Seit 1971 wird der Preis, der zuvor jährlich in mehreren Sparten vergeben werden konnte, nur noch an eine einzige Person pro Jahr vergeben. Dotiert ist die Auszeichnung mit 30.000 Euro.

Stetes Erinnern

Im Vorjahr veröffentlichte Lipuš "Seelenruhig", in dem er Motive aus Kindheit, Jugend und Krieg verdichtet. Dieses Lebenszeugnis ist eine analytische Annäherung an das Aufwachsen während des Zweiten Weltkriegs, ein Verstehenwollen kindlicher Erinnerungsfetzen von Mutter und Großmutter, eine späte Versöhnung mit dem väterlichen Schweigen und ein stetes Erinnern an die Gräueltaten der Nazis.

Von 1960 bis 1998 war Lipus als Volksschullehrer und -direktor tätig. Zugleich war er von 1960 bis 1980 Herausgeber der Kärntner-slowenischen Literaturzeitschrift "Mladje" und veröffentlichte zahlreiche Erzählungen, Romane und Essays. Zu Lipuš' bekanntesten Werken zählen "Der Zögling Tjaz", "Die Beseitigung meines Dorfes", "Die Verweigerung der Wehmut" und "Herzflecken" sowie der in deutscher Übersetzung im Suhrkamp Verlag erschienene Roman "Bostjans Flug".

Handke: "Weltliteratur"

Peter Handke, der den "Zögling Tjaz" 1981 gemeinsam mit Helga Mracnikar ins Deutsche übersetzte, geriet einmal über Lipuš ins Schwärmen: "Sein 'Bostjans Flug' ist für mich eines der drei, vier Bücher, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich geschrieben wurden und Weltliteratur sind." Sein Vorschlag, Lipuš den Großen Österreichischen Staatspreis zuzuerkennen, sei zu diesem Zeitpunkt jedoch an der Tatsache gescheitert, dass der Autor nicht auf Deutsch schreibe. Nachsatz: "Das ist ein Unrecht." Dass dieses Unrecht nun just unter einer Regierung mit FPÖ-Beteiligung berichtigt wird, wird manchen überraschen.

Vielfach ausgezeichnet ist Lipuš freilich dennoch: Für "Bostjans Flug" wurde Lipus 2004 mit dem France-Preseren-Preis und 2011 mit dem Petrarca-Preis ausgezeichnet. 2005 erhielt er den Österreichischen Würdigungspreis für Literatur, 2013 den mit 14.500 Euro dotierten Franz-Nabl-Preis der Stadt Graz.

Der Österreichische Kunstsenat führt in seiner Staatspreis-Begründung an, dass schon im "Zögling Tjaz" sein "gesamtes erzählerisches Opus thematisch angelegt" sei: "Lipuš behandelt in seiner Literatur den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die Vertreibung und Ermordung der Kärntner Slowenen, die Geringschätzung der slowenischen Minderheit durch die Mehrheitsbevölkerung, aber auch die Rettung der schwindenden Welt slowenischer Wörter und Wendungen als Grundlage einer neuen selbstbewussten Identität."

Lipuš selbst beschreibt das Wiederkehren seiner Motive in "Seelenruhig" in verdichteter Form: "Ein Wanderer, der von dem steinigen Grund ein und dasselbe einzige Gestein aufliest und sammelt. Ein Schriftsteller, der sein ganzes Leben an ein und demselben einzigen Text schreibt."

Die Träger des Preises seit 1950

LITERATUR: 1950 Josef Leitgeb 1951 Felix Braun 1952 Martina Wied 1953 Rudolf Henz 1954 Max Mell 1955 Franz Theodor Csokor 1956 Franz Nabl 1957 Heimito von Doderer/Franz Karl Ginzkey 1958 Imma von Bodmershof 1959 Carl Zuckmayer 1961 Albert Paris Gütersloh/Alexander Lernet-Holenia 1962 George Saiko 1963 Kurt Frieberger 1964 Johannes Urzidil 1966 Fritz Hochwälder 1967 Elias Canetti 1968 Ingeborg Bachmann 1969 Christine Busta 1970 Christine Lavant 1972 Friedrich Heer 1974 Hans Carl Artmann 1977 Manes Sperber 1979 Friedrich Torberg 1982 Friederike Mayröcker 1984 Ernst Jandl 1987 Peter Handke 1989 Oswald Wiener 1991 Gerhard Rühm 1994 Wolfgang Bauer 1995 Ilse Aichinger 1998 Andreas Okopenko 2001 Gert Jonke 2007 Josef Winkler 2012 Peter Waterhouse 2016 Gerhard Roth 2018 Florjan Lipus

MUSIK: 1950 Joseph Marx 1951 Egon Kornauth 1953 Johann Nepomuk David 1955 Josef Matthias Hauer 1956 Hans Erich Apostel/Otto Siegl 1957 Hans Gal 1959 Theodor Berger/Alfred Uhl 1961 Egon Wellesz 1963 Ernst Krenek 1965 Gottfried von Einem 1966 Hanns Jelinek 1967 Karl Schiske 1968 Erich Marckhl 1969 Anton Heiller 1970 Marcel Rubin 1976 Cesar Bresgen 1981 Roman Haubenstock-Ramati 1986 Friedrich Cerha 1990 György Ligeti 1992 Kurt Schwertsik 2002 H. K. Gruber 2006 Georg Friedrich Haas 2010 Olga Neuwirth 2014 Beat Furrer

BILDENDE KUNST: 1951 Alfred Kubin 1952 Albrecht Paris Gütersloh 1954 Herbert Boeckl 1955 Oskar Kokoschka/Fritz Wotruba 1956 Alfred Wickenburg 1957 Karl Sterrer 1958 Toni Schneider-Manzell 1960 Max Weiler/Ferdinand Kitt 1962 Josef Dobrowsky 1963 Arnold Jakob Clementschitsch 1965 Sergius Pauser 1966 Hans Fronius 1968 Kurt Moldovan 1969 Rudolf Hoflehner 1973 Joannis Avramidis 1978 Arnulf Rainer 1980 Friedensreich Hundertwasser 1985 Walter Pichler 1988 Maria Lassnig 1993 Bruno Gironcoli 1996 Günter Brus 1997 Christian Ludwig Attersee 2003 Siegfried Anzinger 2005 Hermann Nitsch 2008 Karl Prantl 2009 Brigitte Kowanz 2013 Erwin Wurm 2017 Renate Bertlmann

ARCHITEKTUR: 1950 Josef Hoffmann 1953 Clemens Holzmeister 1954 Max Fellerer 1958 Erich Boltenstern 1962 Roland Rainer 1965 Josef Frank 1967 Franz Schuster 1971 Gustav Peichl 1975 Karl Schwanzer 1983 Hans Hollein 1999 Coop Himmelb(l)au - Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky 2000 Wilhelm Holzbauer 2004 Günther Domenig 2011 Heinz Tesar 2015 Delugan Meissl

(APA/red.)

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