Junge Forschung

Wer wird was im Termitenstaat?

„Am IST Austria in Klosterneuburg habe ich viele Freiheiten, meine Forschungsrichtung zu entwickeln“, sagt die Evolutionsbiologin Ann Kathrin Huylmans. Derzeit arbeitet sie in einem FWF-Projekt an der Geschlechtsbestimmung von Termiten.
„Am IST Austria in Klosterneuburg habe ich viele Freiheiten, meine Forschungsrichtung zu entwickeln“, sagt die Evolutionsbiologin Ann Kathrin Huylmans. Derzeit arbeitet sie in einem FWF-Projekt an der Geschlechtsbestimmung von Termiten.(c) Clemens Fabry
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Weibliche und männliche Lebewesen haben dasselbe Erbgut. Welche Faktoren das Geschlecht bestimmen, erforscht Evolutionsbiologin Ann Kathrin Huylmans an Termiten.

Wenn man beginnt, die ungeheure Vielschichtigkeit der Natur besser zu verstehen, sieht man die Welt mit anderen Augen“, sagt Ann Kathrin Huylmans. „Das ist das wirklich Spannende an meinem Fach.“ Seit zweieinhalb Jahren beschäftigt sich die Evolutionsbiologin aus Paderborn am Klosterneuburger Institute of Science and Technology (IST Austria) mit der Biologie von Geschlechtschromosomen und den für die Ausbildung spezieller Eigenschaften verantwortlichen Evolutionsprozessen. Als die Forscherin Beatriz Vicoso von Berkeley ans IST Austria kam, um dort eine Arbeitsgruppe aufzurichten, bewarb sie sich gleich um eine Postdoc-Stelle bei ihr. „Ich bin stolz, dass ich genommen wurde. Sie ist eine Koryphäe auf meinem Forschungsgebiet.“

Zuvor studierte die 31-Jährige in Münster Biologie und machte in München ihr Doktorat. „Am Anfang hat mir das hohe Lernpensum zugesetzt“, erinnert sie sich. „Aber als ich endlich bei echten Forschungsprojekten mitmachen durfte, wusste ich, dass das genau das Richtige für mich ist.“ Zunächst liebäugelte sie mit Meeres- und Neurobiologie und kam fast ein wenig zufällig zu ihrem heutigen Schwerpunkt. „Mir machten die Evolutionsbiologie- und Bioinformatikkurse so großen Spaß, ich konnte gar nicht verstehen, dass das vielen Studienkollegen nicht so lag. Also dachte ich, das könnte vielleicht meine Nische sein.“ Sie ergriff die Initiative und fragte einen Bioinformatikprofessor, ob sie bei ihm Programmieren lernen dürfe. „Bei ihm habe ich dann meine Bachelor- und Masterarbeit geschrieben, und wir kollaborieren bis heute.“

Von den vielen Facetten der Biologie ist die Forscherin nach wie vor fasziniert. „Vom riesigen Blauwal bis zum kleinsten Molekül kann man auf ganz verschiedenen Ebenen arbeiten.“ Es gebe so viel, das wir noch nicht wüssten. „In einer sich immer schneller ändernden Welt, in der Arten durch den Klimawandel aussterben, ist ein Verständnis der Zusammenhänge und das Abschätzenkönnen von Folgen ungemein wichtig.“ Die Evolutionsbiologie spiele hier eine zentrale Rolle. „Evolution ist ja nicht nur etwas, das vor Millionen von Jahren passiert ist, sondern sie findet unablässig statt. Heute können wir das etwa an der Entstehung von multiresistenten Keimen oder immer neuen Grippeviren sehen.“

Vielfalt durch Anpassungsfähigkeit

Derzeit befasst sich Huylmans damit, wie festgelegt wird, ob ein Individuum männlich oder weiblich ist. „Neben der genetischen Anlage können auch Umweltfaktoren die Nutzung des Erbguts beeinflussen.“ Manche Lebewesen wie etwa der Clownfisch könnten sogar ihr Geschlecht wechseln, wenn es dem Fortbestand ihrer Art dient: „Die Strategien sind vielfältig, und ich möchte verstehen, welches System unter welchen Bedingungen entsteht.“ Ihre aktuellen Forschungsobjekte, Termiten, eignen sich zum Beispiel hervorragend, um die Beziehung zwischen sozialer Aufgabe und Geschlechtsbestimmung zu untersuchen. Trotz desselben Erbguts sehen sie je nach ihrer Aufgabe im Staat ganz unterschiedlich aus. Männchen sind zudem nicht nur für die Fortpflanzung da, sondern arbeiten auch mit den Weibchen zusammen. Manche Koloniebewohner sind überhaupt nicht fortpflanzungsfähig, andere sind gerade darauf spezialisiert.

Demnächst wird so ein Termitenstaat am IST Austria Einzug halten. „Keine Angst, es ist nur eine winzige Kolonie, die zwischen zwei Holzplatten lebt und sie auch nicht verlässt“, sagt Huylmans lachend. „Sie richtet keinen Schaden an.“ Im Moment konzentriert sie sich aber noch am Computer auf die Genomsequenzen. „Das sind im Prinzip Textdateien, mit denen man das ganze Erbgut eines Individuums darstellen kann.“ So vergleicht sie verschiedene Arten und einzelne Insekten. „Wenn man mehr über die Vermehrung dieser Art weiß, könnte man auch Insektizide entwickeln, die nur die Fortpflanzung stören und keine Nützlinge töten.“

Als begeisterte Wanderin hat Huylmans die Gegend um Klosterneuburg bereits erkundet. Gemeinsam mit ihrem Freund, der in München lebt, baut sie nun einen VW-Bulli zum Camper um: „Dann können wir bald längere Touren in Österreich machen.“

ZUR PERSON

Ann Kathrin Huylmans (31) kommt aus Paderborn/Deutschland. Sie hat an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Biologie studiert und 2015 an der Ludwig-Maximilians-Uni München promoviert. Ihr Schwerpunkt ist Evolutionsbiologie und Bioinformatik. Seit 2016 ist sie Postdoc am IST Austria und forscht an Ursachen für die unterschiedlichen Erscheinungsformen, die aus ein und demselben Erbmaterial kommen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2018)

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