"Vinzi-Würstel": Neustart am Ottakringer Würstelstand

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ViziWuerstel Neustart Ottakringer Wuerstelstand(c) Michaela Bruckberger
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Zwei Obdachlose betreiben ein ungewöhnliches Sozialprojekt. Der Würstelstand soll auch anderen Mitgliedern ihrer Schicksalsgemeinschaft als Startbasis für den Weg zurück in ein geregeltes Leben dienen.

wien. Noch sieht der Stand mit der Aufschrift „Döner Kebab Würstelhütte“ am Johann-Nepomuk-Berger-Platz in Wien-Ottakring nicht so aus, als könne ausgerechnet er als Sprungbrett für gescheiterte Existenzen dienen. Und auch seine künftigen Betreiber sind oberflächlich betrachtet nicht das, was man als erfolgreiche Unternehmer mit Perspektive beschreiben würde.

„In uns steckt mehr, als man auf den ersten Blick glauben möchte“, sagt Stephan Rebel. Gemeinsam mit Erich Rainer sucht der 44-Jährige nach Wegen aus seiner Zwangslage. Dabei widersprechen der gebürtige Deutsche und der gebürtige Steirer so ganz und gar dem Klischee, dass Obdachlose nur schwer aus ihrer lethargischen Depression zu holen seien. Rebel und Rainer taten sich zusammen, dachten nach, schrieben Konzepte, gingen Klinken putzen. Nun ist es so weit: Am 20. März eröffnet Österreichs erster von Obdachlosen betriebene Würstelstand.

Dabei geht es den beiden nicht nur um sich selbst. Der Würstelstand soll auch anderen Mitgliedern ihrer Schicksalsgemeinschaft als Startbasis für den Weg zurück in ein geregeltes Leben dienen. Der Plan ist, wenigstens drei Mitarbeiter von Anfang an Vollzeit anzustellen. Zwei weitere „schwere Fälle“, also etwa Personen mit Alkoholproblemen, sollen hier unter Betreuung wenigstens Teilzeit arbeiten.

Chance auf ein Bankkonto

Für Obdachlose kommt das einem Lotto-Sechser gleich, bedeutet es doch gleichzeitig die Chance auf ein Bankkonto, regelmäßiges Einkommen, Finanzierbarkeit einer eigenen Wohnung und das, was die wenigsten jemals wieder erfahren: Selbstwertgefühl und Bestätigung durch Arbeit.

Entstanden ist das Projekt im Winter. Quasi im Windschatten der Audimax-Besetzung an der Uni Wien hatten damals auch Obdachlose aus dem EU-Ausland auf sich aufmerksam gemacht. Rebel, einst international tätiger Projektleiter bei einem großen US-Konzern, war ihre lauteste Stimme. Ihm selbst wurde der Zutritt zu Notschlafstellen der Stadt Wien verwehrt. Begründung des Rathauses: Das Landesgesetz wolle es so.

Rebel, den privates Unglück in Kombination mit einem Burn-out um den hochdotierten Job brachte, wollte sich nicht geschlagen geben und das Problem – wie er es gewohnt war – selbst lösen. Während seiner Spaziergänge durch die Stadt kam ihm dann der Geistesblitz: Ottakring fehlt ein original Wiener Würstelstand. „Schon seltsam, dass ausgerechnet mir als ,Piefke‘ dieser Missstand auffiel“, meint er heute.

Gemeinsam mit Erich Rainer, einem ehemaligen Tunnelbauer, dessen Wirbelsäule wegen der harten Arbeit mit 39 den Dienst versagte, entwarf er ein Konzept. Als „Investor“ – den beiden fehlte das Startkapital – konnten sie Pfarrer Wolfgang Pucher gewinnen, der sich mit den Vinziwerken vielfältig in Graz und Wien engagiert.

12.000 Euro werden nun in den Umbau der alten Würstelhütte gesteckt – eine Investition, die sich rechnen muss. Das Projekt soll sich nämlich von Anfang an selbst tragen, den angestellten Obdachlosen jeweils nur so lange Arbeit bieten, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen können. Auch Rebel und Rainer sehen ihr Engagement nur als Durchgangsstation. Mittelfristig wollen die Vinziwerke den vorerst gepachteten Stand kaufen und so ein dauerhaftes und nachhaltiges Sozialprojekt zum Wiedereinstieg schaffen.

Funktionieren soll das mit einer längst vergessenen Geschäftsidee: Das „Vinzi-Würstel“, so der Name des Stands, lockt mit Wiener Originalität. Kebab und Pizza sind tabu, alle verkauften Produkte müssen lokal verwurzelt sein. Als Partner konnten so (noch teils in Familienbesitz befindliche) Unternehmen wie Staud (Gemüsedelikatessen) Blutaumüller (Gebäck), Radatz (Fleisch), Ramsa-Wolf (Senf) und Ottakringer (Getränke) gewonnen werden. Der Kaffee kommt von Meinl. Alle Lieferanten gewährten beim Einkauf teils erhebliche Preisnachlässe. Rebel: „Das Konzept mit dem Wiener Lokalkolorit kam bei diesen Betrieben besonders gut an. Unsere Anfragen bei Großkonzernen hingegen wurden oft nicht einmal beantwortet.“

Die Kundenfrequenz soll am Schnittpunkt der Straßenbahnlinien 2, 9 und 44 jedenfalls stimmen: Eine lange Nacht hat sich Rainer im Winter auf die Lauer gelegt und 500 Passanten pro Stunde gezählt. Jetzt fehlt nur noch die Ausbildung zum Wurstbrater: „Bis vor Kurzem konnte ich nicht einmal eine Debrenziner von einer Waldviertler unterscheiden“, gesteht Rebel. „Aber wir Deutschen lernen schnell.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2010)

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