Die Rache der Unterdrückten

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Der Georgier Otar Tschiladse entführt in „Der Korb“ in eine Welt, in der Realität und Fantasie nicht immer auseinanderzuhalten sind.

Seit der Expansion des Russischen Reichs in den südlichen Kaukasus ringen die kleinen Völker der Region um ihre Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Das ist bis heute nicht vorbei. Im August 2008 marschierte Russland bis kurz vor die georgische Hauptstadt Tiflis und kontrolliert seither die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien. Manchmal aber schlägt der Unterdrückte zurück: Aus Georgien kamen Stalin und Berija, die für den Verlust von Millionen Menschenleben in der Sowjetunion verantwortlich zeichneten.

Als Parabel für Georgien darf man wohl auch jenen armen Hirten verstehen, der am Anfang von Otar Tschiladses Roman „Der Korb“ steht. Wehrlos muss er hinnehmen, wie sich der russische Besatzer seine Frau zur Geliebten nimmt. Doch seine Rache fällt fürchterlich aus, aus der Demütigung erwächst ein Blutdurst, der nicht zu stillen ist. Aus der Liaison geht ein Monster hervor, die Grenzen zwischen Realität und Fantasie, zwischen Vergangenheit und Gegenwart in dem Roman sind fließend – und oft fordernd.

Dabei schildert Tschiladse eindrucksvoll den Zerfall der sowjetischen Herrschaft, wie er von den Menschen erlebt wurde. Der erste Schritt zur Befreiung war die Überwindung der Angst. Dabei halfen den Georgiern die Bücher des 2009 verstorbenen Tschiladse. Zweimal für den Literaturnobelpreis nominiert, wurde er als Lyriker zu einer moralischen Autorität. Mit „Der Korb“ ist ein großes Werk zu entdecken.

(gar)


Otar Tschiladse: „Der Korb“, üb. von Kristiane Lichtenfeld, Matthes & Seitz, 464 Seiten, 30 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2018)

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