Als Ingmar Bergman 17 Minuten zu spät kam

Linn Ullmann, Tochter von Ingmar Bergman und Schauspielerin Liv Ullmann, erzählt im Roman "Die Unruhigen" ihre Familiengeschichte. Er wäre ohne die Prominenz ihrer Eltern kaum weniger lesenswert.

Sie heißen nur „das Mädchen“ beziehungsweise „ich“, „die Mutter“ und „der Vater“: Wüsste man nicht, dass Linn Ullmann diesen Roman geschrieben hat, man könnte aus ihm kaum schließen, dass die Eltern der Ich-Erzählerin ein berühmtes Paar sind: Regisseur Ingmar Bergman und die durch etliche seiner Filme (etwa „Szenen einer Ehe“, „Persona“ und „Herbstsonate“) unvergessene Schauspielerin Liv Ullmann.

Und wären sie das nicht, „Die Unruhigen“, auf Deutsch bei Luchterhand erschienen, wären fast ebenso lesenswert – als Geschichte einer Mutter-Tochter- und einer Vater-Tochter-Beziehung. Zu dritt existiert diese sich schon nach wenigen Jahren auflösende Familie nämlich nie wirklich. Die Künstler-Mama bleibt mit dem Kind allein, leidet unter dem Zu-viel-Mutter-Sein, flüchtet vor dem klammernden Kind bis in den Keller. Sie wird scheel angesehen, weil sie zu wenig beim Kind ist – der Vater nie.

„Sie waren selbst Kinder“, schreibt die in ihrer Heimat renommierte Autorin über ihre Eltern, „die sich wie Kinder hinsetzen und mit großem Ernst Regeln für die Spiele aufstellen, die sie gemeinsam spielen wollen.“ 1995, nach dem Tod von Bergmans letzter Ehefrau Ingrid von Rosen, wird der trauernde, bisher stets von sorgenden Frauen umgebene Mann sagen: „Ich bin ein 74-jähriges Kind, und erst jetzt beschließt Gott, mich aus dem Kinderzimmer zu werfen.“

Viele Momentaufnahmen des subtil komponierten impressionistischen Mosaiks prägen sich ein, Sätze wie: „Als Mama und Papa in den Sechzigerjahren ein Liebespaar waren, wirkte Mamas Gesicht so nackt, dass es fast kein Gesicht war.“ Oder die Szene, in der der bisher manisch pünktliche Vater 17 Minuten zu spät kommt – „und alles war wie immer und nichts mehr wie zuvor.“

Es ist das Zeichen, dass es mit dem Vater bergab geht. 2007 nimmt die Tochter in Bergmans Ferienhaus Gespräche mit ihm auf Tonband auf – ein Buch über ihn soll daraus werden. Doch die Erinnerungen haben den fast 90-Jährigen großteils verlassen. Am Ende bleibt ihm Musik, vor allem die von Bach. Als die Tochter wissen will, was dem Vater die Liebe bedeutete, will er nicht antworten, tut es dann doch: Über diese Klänge weinend, fühle er sich lebendiger, sagt er – und legt Schuberts „Winterreise“ auf. (sim)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2018)

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