„Nico 1988“: „Ich war nicht glücklich, als ich schön war“

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Ihre Zeit als Sängerin von Velvet Underground und Model-Superstar kommt gar nicht vor: „Nico 1988“ zeigt die späten Jahre der Frau, die eigentlich Christa Päffgen hieß. Ab Freitag im Kino.

„Was ist das für ein Licht da?“, fragt ein Mädchen. „Berlin, mein Schatz, es brennt“, erwidert seine Mutter. Schnitt. Ein südliche Sommerszene. Ibiza. Ein mittelalterliche Frau steigt auf ein Fahrrad. „I'm going out, I'm taking the bike.“ Es folgen bunte Wackelbilder aus dem New York der Sechzigerjahre.

Mit diesen kleinen Szene setzt die römische Regisseurin Susanna Nicchiarelli gleich zu Beginn die Eckpunkte ihres Biopics. „Nico 1988“ verzichtet auf sämtliche Szenen, die die 1938 in Köln als Christa Päffgen geborene Model-Ikone und bewunderte Anti-Sängerin von Velvet Underground in ihrer vermeintlichen Hochblüte zeigen. Sie verschweigt auch all die glamourösen Liebeleien, die Nicos dunkles Herz in jungen Jahren beschäftigten – von Rolling Stone Brian Jones über Doors-Sänger Jim Morrison bis zu Alain Delon.

Die eigentliche Handlung beginnt in einer Radiostation in Manchester, der britischen Industriestadt, die sich Nico in den Achtzigern als Wohnort aussuchte, weil er sie an das zerbombte Nachkriegs-Berlin erinnerte. Der DJ spielt das von Nico gesungene Velvet-Underground-Lied „Femme Fatale“ und will wissen, ob ihr irgendwelche spektakulären Anekdoten jener Tage einfallen. Sie verneint, ersucht sogar, den Song zu stoppen.

Sie hätte sich nie so bezeichnet, könne das Lied gar nicht leiden. Es erinnert sie an Jahre, die für sie Jahre der Ohnmacht waren.

Heute gilt sie als erstes Supermodel, damals war sie als Deutsche mit extrakühler Aura in der New Yorker Fashionszene bloß ein viel bestauntes Exotikum. Auch bei der von Andy Warhol protegierten Band Velvet Underground war sie nicht mehr als eine Art Aufputz. Regisseurin Nicchiarelli fokussiert stattdessen die letzten beiden Lebensjahre der heroinabhängigen Sängerin, hart an der Kante zum Absturz.

Ein Sohn mit Alain Delon

Strukturiert ist „Nico 1988“ wie ein Musikalbum. Die Regisseurin kommt mit acht Liedern aus, die die hervorragende Hauptdarstellerin Trine Dyrholm selbst singt. Das hätte leicht schiefgehen können. Die dänische Actrice war aber so klug, Nicos eigentümlichen Gesangsduktus nicht zu kopieren, sondern ihren eigenen Zugang zu Liedern wie „My Heart Is Empty“ und „Nibelungen“ zu finden. Grandios, wie sie Nicos Stimmungsschwankungen darstellt, ihre Zerrissenheit zwischen der Hybris eines gefallenen Stars und den menschlichen Bedürfnissen einer Mutter, die ihrem Sohn aus einer flüchtigen Beziehung mit Alain Delon gelinde gesagt, keine existenzielle Hilfe war.

An manchen Stellen riecht der Film nach Küchenpsychologie. Meist aber gelingt der Schritt ins Subtile. Die auch vom Ton her interessanten Traumsequenzen deuten Nicos Traumata an. Die Sängerin, die oft mit einem portablen Aufnahmegerät herumläuft, ist auch in ihren späten Jahren auf der Suche nach dem vielstimmigen Klang der Niederlage, nach dem Sound des zerbombten Berlin. Hunger hat dieses Kriegskind geprägt.

Eindringlich sind die Szenen von ihrer Tour durch Ungarn, die USSR, Polen. Auf dem Live-Album „Behind The Iron Curtain“ (1986) kann man die dunkle Seite des Kommunismus richtig spüren. „Am I ugly?“ fragt Nico einmal ihren Manager. Zögerlich bejaht dieser. Darauf Nico: „Good. I wasn't happy, when I was beautiful.“

20 Jahre vor ihrem Tod hatte Nico ihr zweites Soloalbum „Marble Index“ aufgenommen. Der Titel ist abgeleitet von einer Zeile des William-Wordsworth-Poems „The Prelude“, inspiriert von einer Isaac-Newton-Statue im Trinity College in Cambridge. „The marble index of a mind forever voyaging through strange seas of thought, alone.“ Damit hatte Nico unbewusst ihr Epitaph gefunden. Sie wurde nur 49 Jahre alt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2018)

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