Bösendorfer oder Steinway? Konfessionsstreit auf offener Bühne

Glenn Gould und sein Steinway. Keiner zelebrierte die Beziehung zu seinem Instrument wie er.
Glenn Gould und sein Steinway. Keiner zelebrierte die Beziehung zu seinem Instrument wie er.Getty
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Was ist besser? Ein Flügel aus dem Hause Bösendorfer oder einer der Manufakturen von Steinway & Sons? Sein Glaubensbekenntnis muss jeder Pianist im Konzertsaal ablegen. Geht man nach den Zahlen – und Thomas Bernhard –, haben die Steinway-Spieler den Kampf längst für sich entschieden.

Das Unternehmen Bösendorfer und seine Jünger bekümmert der Zustand zutiefst: Nahezu alle namhaften Pianisten auf der ganzen Welt üben und konzertieren auf Steinways, und nicht auf den edlen Bösendorfer-Flügeln, die seit 1828 in Wien (heute Wiener Neustadt) fabriziert werden.

Ob Swjatoslaw Richter, Artur Rubinstein oder Clara Haskil anno dazumal oder Alfred Brendel, Daniel Barenboim, Martha Argerich, Mitsuko Uchida und Helen Grimaud dann später und heute. Weitaus mehr Konzertpianisten haben sich für Fabrikate von Steinway & Sons entschieden und nicht für den Bösendorfer-Klang.

Diese „Monotonie in den Konzertsälen dieser Welt“ beklagte der berühmte Pianist Andras Schiff vor einiger Zeit: „Das Problem ist, dass die meisten Pianisten überhaupt nicht neugierig sind. Sie nehmen oft lieber einen mittelmäßigen Steinway als einen guten Bösendorfer, weil sie auf Letzterem gar nicht spielen können.“ Über den ewigen Kampf der „Bösendorfer- gegen die Steinwayspieler, der Steinwayenthusiasten gegen die Bösendorferenthusiasten“, schrieb auch der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard in seinem Roman „Der Untergeher“ (1983). Es geht um die drei Klaviervirtuosen Glenn Gould, den „Untergeher“ und den Ich-Erzähler. Sie treffen 1953 blutjung zusammen, als sie bei dem ukrainischen Pianisten Vladimir Horowitz am Mozarteum studieren.

Bei Thomas Bernhard siegte Steinway.
Bei Thomas Bernhard siegte Steinway.(c) Harry Weber/Theatermuseum



Bei Thomas Bernhard siegte Steinway. Wenn man so will, geht auch bei Thomas Bernhard Steinway als Sieger hervor: Während der „Untergeher“ auf einem Bösendorfer spielt – und scheitert, erlangt Gould höchste Perfektion. Das hat er auch seiner Entschlossenheit zu verdanken: „Glenn war sich schon zu dieser Zeit seiner Sache vollkommen sicher gewesen, ein Bösendorfer kam für ihn nicht in Frage, hätte ihm sein Konzept zerstört. (...) Zuerst hatten sie Glenn einen Bösendorfer ins Zimmer gestellt, sofort ließ er ihn hinaustragen, auswechseln gegen ein Steinway“, schreibt Bernhard. Und „auf einem Bösendorfer hätte ich nie gespielt (...), ich hätte nichts erreicht auf einem Bösendorfer“, lässt er den kanadischen Pianisten sagen, und schließlich mit viel Pathos sterben – an einem Steinway natürlich, „mitten in den Goldbergvariationen.“

Gulda spielte auf Bösendorfer.
Gulda spielte auf Bösendorfer. APA


Gulda spielte auf Bösendorfer.
Ganz so wie es Bernhard in seinem Roman schildert, war es freilich nicht. Weder hat Gould in Salzburg oder bei Horowitz studiert, noch starb er am Klavier sitzend. Womit Bernhard recht hatte: Glenn Gould hat nie auf einem Bösendorfer-Klavier gespielt, sondern sich sehr bald Steinway-Flügeln verschrieben. Allerdings konnte kaum ein Instrument den Ansprüchen des exzentrischen und zwänglichen Künstlers gerecht werden: „Meiner nüchternen Überzeugung entsprechend, muss sich kein Klavier moralisch verpflichtet fühlen, wie ein Klavier zu klingen“, sagte er. Diese Haltung machte ihm die Auswahl keineswegs leichter. Die erste legendäre Aufnahme der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach spielte er 1955 im Columbia Studio in New York auf dem Steinway-Konzertflügel CD 19 ein. Ein Instrument, das seinem eigenen Klavier, einem Steinway CD 174, sehr ähnlich war. 1957 war Gould gezwungen, ein neues Instrument für sich zu finden, nachdem sein altes bei einem Transportunfall zerstört worden war. Nachdem er in der New Yorker Steinway-Fabrik fast alle Instrumente ausprobiert hatte, fand er endlich seinen neuen „Lebensgefährten“. Er entschied sich für den Konzertflügel CD 318, der dort 1945 gefertigt worden war. „Ich fühle zu diesem Piano eine größere Zuneigung als zu jedem anderen, auf das ich bisher gestoßen bin“, sagte er.

Was nicht hieß, dass er nicht laufend umfangreiche Arbeiten an dem CD 318 durführen ließ: Sein Ziel war es nämlich, ein „Harpsi-Piano“ zu kreieren. Was das sein soll? „Ein neurotisches Piano, das sich für ein Cembalo hält“, so Gould. Doch auch diese Beziehung fand ein tragisches Ende.

1971 wurde das Instrument nach Cleveland gebracht, weil Gould dort das zweite Klavierkonzert von Beethoven aufnehmen wollte. Doch am Weg dahin fiel sein Heiligtum von einer Rampe. Von dem „Unfall“ erholte sich das Klavier trotz größter Bemühungen nie wieder zur Gänze. Bei seinen letzten Alben spielte Gould auf einem Yamaha CF II. So auch seine zweite (ebenso) legendäre Aufnahme der Goldbergvariationen im Jahr 1981, die kurz vor seinem Tod entstand.

Vladimir Horowitz gab sich übrigens ebenso wenig mit Bösendorfer ab wie Gould. Über 50 Jahre lang griff er in Steinway-Tasten (CD 503). Sein Stück nahm er sogar nach Russland mit, als er nach 61-jähriger Abwesenheit in seine Heimat zurückkehrte, um in Moskau ein Konzert zu geben. Nach seinem Tod ließ Steinway & Sons seinen Flügel durch die USA touren, um Klavierspielern allenorts die Möglichkeit zu geben, darauf zu spielen.

Franz Liszt verhalf Bösendorfer zu Ruhm.
Franz Liszt verhalf Bösendorfer zu Ruhm.



Franz Liszt verhalf zu Ruhm.
Zwar mag Bösendorfer umsatzmäßig weit hinter Steinway & Sons liegen, an großartigen Virtuosen, die nur auf den Wiener Klavieren musizieren wollten, mangelte es dem Unternehmen von Anfang an nicht: Es war der 28. März 1846, als der damals schon viel gepriesene Franz Liszt erstmals auf einem Bösendorfer ein Konzert spielte.

Liest man die Kritik, die wenig später in der „Allgemeinen Theaterzeitung„ von Heinrich Adami zu finden war, muss die Darbietung eine ganz besondere gewesen sein, und das dürfte auch an seinem Instrument gelegen haben: „Mit allem Aufgebote seines großen Talentes, so feurig, mächtig und hinreißend, in einer so aufgeregten, glücklichen Stimmung, dass die Begeisterung des Publikums unaufgehalten losbrach. (...) Er bediente sich diesmal des bekannten Bösendorferschen Ausstellungs-Instruments (...), dessen Vortrefflichkeit an diesem heißen Abende sich eigentlich erst recht bewährte. Nicht nur dessen schöner, voller Klang, machte sich unter solchen Meisterhänden geltend, sondern auch Saiten und Stimmung hielten tüchtig bis zum Schlusse aus, was nach drei solchen Concertstücken und bei der Energie, womit Liszt das Clavier hernimmt, gewiß nicht wenig zu wundern ist.“ Auch Liszt war zufrieden, zumal bis dahin kaum ein Klavier seinem temperamentvollen Spiel standgehalten hatte. Sein Leben lang blieb er dem Klavierbauer verbunden. Davon zeugen Briefe und Telegramme, die sich Liszt und Ignaz Bösendorfer schickten.

Auch die österreichische Ikone Friedrich Gulda liebte es, auf Bösendorfer-Klavieren zu spielen. Vor allem, wenn er Mozart spielte, dem er sich so sehr verbunden fühlte und den er vergötterte. 1981 – Gulda hatte sich damals eigentlich schon offiziell vom Klassik-Konzertbetrieb zurückgezogen – spielte er in München, Paris und Mailand alle Klaviersonaten seines Idols. Und dafür war ihm nur ein Bösendorfer gut genug.

Das Instrument seiner Wahl stand im „Hotel zur Post“ in Weißenbach am Attersee, wo er sich in unzähligen Übungsstunden auf die Konzertmatineen vorbereitete. Von seinen genialen Auftritten gibt es leider keine einzige Tonaufnahme. Wohl aber welche, die am Hotel-Flügel am Attersee entstanden sind. Sie gelten nach wie vor als Meilenstein unter den Interpretationen der Mozart-Klaviersonaten.

Daniil Trifonov bleibt flexibel.
Daniil Trifonov bleibt flexibel. (c) Clemens Fabry


Daniil Trifonov bleibt flexibel. Der Shootingstar unter den jungen Konzertpianisten, Daniil Trifonov, legt drauf wert, weder als „Steinway- noch als Bösendorferenthusiast“ zu gelten. Auf die Frage, ob er sich vorweg erkundige, welches Klavier ihm ein Konzerthaus zur Verfügung stelle, sagt er zur „Presse“ in einem Interview: „Üblicherweise nicht. Wenn mich am Instrument irgendetwas stört, lasse ich Modifikationen vornehmen, etwa wenn ich nicht so einen scharfen, sondern einen runderen Ton haben will. Üblicherweise kann ich zwischen mehreren Klavieren wählen, mein letztes Konzert habe ich auf einem Bösendorfer gespielt.“

Ob er sich mit Andras Schiff über die Monotonie des Klavierklangs und die fehlende Neugier von Pianisten unterhalten haben mag? Es klingt fast so. Denn eines will der 27-Jährige auf keinen Fall: sich von einem Instrument abhängig machen: „Das war einer der wichtigsten Punkte während meiner Ausbildung am Cleveland Institute of Music. Ich habe nie auch nur einen Tag lang am selben Instrument geübt. Die Studenten durften Übungszimmer durchgehend für fünf Stunden buchen. Aber ich habe es anders gemacht. Ich habe nie fünf Stunden nur auf einem Klavier gespielt, sondern bewusst jede Stunde den Raum gewechselt“, sagt er. „Das alles nur, um zu lernen, mich rasch an verschiedene Instrumente zu gewöhnen. Es ist sehr wichtig, sich schnell auf ein neues Piano einstellen zu können. Natürlich gibt es Instrumente, auf denen ich besonders gern spiele, aber ich genieße es auch sehr, neue zu entdecken.“ Am 14. August gibt Trifonov bei den Salzburger Festspielen ein Solokonzert. Auf welchem Flügel er Robert Schumann und Sergej Rachmaninow spielen wird – einem Bösendorfer oder einem Steinway? Lassen wir uns überraschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2018)

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