Brexit: Experten rechnen mit weiterer Pfund-Abwertung

File photograph shows an employee walking over a mosaic depicting pound sterling symbols on the floor of the front hall of the Bank of England in London
File photograph shows an employee walking over a mosaic depicting pound sterling symbols on the floor of the front hall of the Bank of England in London(c) REUTERS (LUKE MACGREGOR)
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Der Austritt der Briten aus der Europäischen Union schwebt wie eine dunkle Wolke über der Landeswährung. Immer mehr Hedgefonds wetten auf einen Kurseinbruch des britschen Pfund.

London. Der dramatische Kurssturz der türkischen Lira in den vergangenen Wochen und Tagen hat den Devisenmarkt zuletzt in Atem gehalten. Die Sorgen um das britische Pfund Sterling sind deshalb in den Hintergrund getreten. Doch die Uhr bis zum geplanten Austritt der Briten aus der EU tickt und das Szenario eines ungeordneten Brexits lastet auf der britischen Währung wie ein Damoklesschwert.

Mit rund 1,27 Dollar kostet das Pfund derzeit so wenig wie seit über einem Jahr nicht mehr. Fachleute warnen bereits vor weiteren Einbrüchen von mehr als zehn Prozent. Immer mehr Hedgefonds wetten auf einen Pfund-Absturz und Papiere zur Absicherung von Kursausschlägen finden reißenden Absatz. „Das Risiko eines ungeordneten Brexits ist höher, als es der Markt derzeit einpreist“, sagt dazu Commerzbank-Devisenanalystin Thu Lan Nguyen. Selbst der britische Außenminister Jeremy Hunt räumt ein, dass das Risiko zuletzt gestiegen ist.

Seit dem Anti-EU-Votum der Briten sind mittlerweile mehr als zwei Jahre vergangen. Das Pfund hat in diesem Zeitraum gegenüber dem Dollar und dem Euro rund 15 Prozent an Wert verloren. Die Verhandlungen mit der EU und ein Regierungswechsel auf der Insel haben bislang keine Einigung über die Ausstiegsklauseln gebracht. Ein Streitpunkt ist dabei, wie an der künftigen EU-Grenze zwischen dem britischen Nordirland und Irland verfahren werden soll.

Kommt die Parität zum Euro?

Diese Unsicherheit hat bislang viele Investoren davon abgehalten, sich am Devisen- oder Optionsmarkt für oder gegen das Pfund zu positionieren. Doch inzwischen folgen immer mehr Spekulanten dem britischen Hedgefondsmanager Crispin Odey und setzen auf einen Kurseinbruch. Odey sagte der Nachrichtenagentur Reuters kürzlich, er halte einen Kurs von 1,21 Dollar für wahrscheinlich. Auch die bisher noch nie dagewesene Parität zum Euro könnte nach Meinung von Analysten Realität werden. 100 Pence würden dann 100 Euro-Cent entsprechen. Derzeit sind es 89 Pence. Ein paar Wochen nach dem Brexit-Referendum war der Pfund-Kurs zum Euro auf bis zu 94 Pence gestiegen und auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 kostete ein Euro zeitweise sogar 98 Pence.

Umgekehrt könne der Wert der britischen Währung bei einer Einigung in die Höhe schießen, prognostizieren die Experten der US-Investmentbank Goldman Sachs. „Wir gehen davon aus, dass sich Großbritannien und die EU auf ein Freihandelsabkommen einigen, das sich auf Waren bezieht, aber die meisten Dienstleistungen ausschließt.“ Der britischen Premierministerin Theresa May werde es spätestens beim EU-Gipfel im Dezember gelingen, einen Deal zu vereinbaren.

Das Pfund könne dann binnen eines Jahres auf 1,36 Dollar zulegen. Auf alle Fälle erwarten Marktteilnehmer in den kommenden Monaten mehr Kursschwankungen. Die Terminkontrakte, mit denen Anleger auf Preisausschläge wetten, notieren auf dem höchsten Stand seit mehreren Monaten.

Kommt es am Ende tatsächlich zum Schreckensszenario eines ungeregelten Brexits, werden nicht nur an den Finanzmärkten chaotische Zustände erwartet, sondern auch in der britischen Wirtschaft. Verbraucher müssten sich auf höhere Preise einstellen. Im Juli legten die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahresmonat um 2,5 Prozent zu. (ag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2018)

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