„Europas Wirtschaft leidet unter dem Dorian-Gray-Syndrom“

Symbolbild.
Symbolbild. (c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
  • Drucken

Die Währungskrisen aus den Schwellenländern könnten durch die Hintertür nach Europa kommen, warnen die Ökonomen Ulrich Kater und Thomas Mayer. Vor allem in Italien braue sich ein gefährlicher Cocktail zusammen. Doch selbst die „Aktie Deutschland“ sei „hochriskant“.

Alpbach. Vor wenigen Tagen meinte Luxemburgs Finanzminister, Pierre Gramegna, dass die Finanzkrise endgültig vorbei sei. Zehn Jahre nach der Lehman-Pleite also. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank, ist sich hingegen nicht so sicher. „Glaubt Gramegna, dass er eine andere Währung hat als Italien?“, scherzte er bei seinem Auftritt in Alpbach. Gemeinsam mit dem ehemaligen Chefökonomen der Deutschen Bank, Thomas Mayer, zeichnet er ein sehr ambivalentes Bild von der Wirtschaft in Europa.

„Die Wirtschaft leidet unter dem Dorian-Gray-Syndrom“, sagt Mayer. In dem Roman von Oscar Wilde malt Dorian Gray ein Selbstporträt. Während er trotz seines ausschweifenden Lebenswandels nicht altert, altert sein Bild. Am Ende zerstört er sein Bildnis und stirbt.

Auch die Wirtschaftslage sieht jung und dynamisch aus, meint Mayer, aber im Hintergrund werden die ersten Falten sichtbar. Die gute Konjunktur habe uns leider vergessen lassen, dass die Staaten „einen riesigen Schuldenberg mit sich schleppen“. Schulden, die sie in den guten Jahren hätten abbauen müssen. Das ist nicht geschehen, weil die Zentralbank weiterhin für billiges Geld gesorgt hat.

Erste Währungskrisen gibt es bereits. In Venezuela. „Ein Einzelfall?“, fragt Mayer süffisant. Pakistan, Indien, Philippinen, Brasilien, Argentinien und natürlich die Türkei. „Alles Einzelfälle?“, fragt der Ökonom weiter und meint: „Es bildet sich ein Muster.“ Vor allem die Türkei stelle für Europa ein großes Problem dar. „Im September wird die Sache ordentlich hochkochen“, wagt er eine düstere Prognose.

„Die Probleme der Schwellenländer kommen immer durch die Hintertür nach Europa“, sagt er. Und mit Hintertür meint er Länder wie Italien, die ja eigentlich „wie Schwellenländer ticken“. Sie hätten genauso eine hohe Staatsverschuldung, „unseriöse Regierungen“ und seien in einer Fremdwährung verschuldet. Denn da Italien den Euro nicht wie einst die Lira nach Belieben abwerten kann, wirke er wie eine Fremdwährung.

Die wachsenden Probleme Italiens werfen längst ihre Schatten voraus, sagt Ulrich Kater. Dass etwa der Deutsche Jens Weidmann nun doch nicht zum nächsten EZB-Chef gekürt werden wird, habe vor allem einen Grund: Italien.

„Das italienische Thema wird auf europäische Manier gelöst werden“, meint Kater. Brüssel werde Italien zugestehen, sich höher zu verschulden, als es die Maastricht-Regeln eigentlich erlauben. Noch sei aber nicht klar, wie die großen Ratingagenturen darauf reagieren werden.

Weidmann ein Opfer Italiens?

„Italien kann ohne niedrige Zinsen nicht überleben“, sagt Mayer. Und deshalb wird man einen anderen als Weidmann an die Druckerpresse setzen. „Sie brauchen jemanden in der EZB, der die Zinsen für Italien niedrig hält“, sagt Mayer.
Und was gut ist für hoch verschuldete Staaten, sei auch gut für Aktionäre. Denn solange die Zinsen niedrig sind, würden die Aktienkurse steigen.

Kann man sich wenigstens auf Deutschland verlassen? „Wäre Deutschland eine Aktie, würde ich sagen: hochriskant“, sagt Mayer. Drohende Handelskriege belasten die Exportwirtschaft, die Autoindustrie stehe vor einer ungewissen Zukunft, und Deutschlands größter Handelspartner ist China. „Der Elefant im Raum ist China“, warnt Mayer. Alles hänge an der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes. Es habe eine gigantische Verschuldung, könne diese aber nicht senken, weil sonst der Wirtschaftsmotor ins Stocken geraten könnte. (gh)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Frau reicht einer Marktverk�uferin einen Euro Geldschein zum Bezahlen ihrer gekaufter Ware Viktuali
Österreich

Österreichs Liebe zum Bargeld

In Schweden könnte die bargeldlose Gesellschaft schon bald Realität sein. Anders in Österreich: In kaum einem anderen Land sind Münzen und Scheine so beliebt wie bei uns.
Jean-Claude Trichet schätzt die Lage an den Finanzmärkten heute genau so gefährlich ein wie zu Beginn der Finanzkrise vor zehn Jahren
Österreich

Ex-EZB-Chef Trichet: Finanzsystem heute so verwundbar wie 2008

Das Wachstum der Verschuldung - vor allem der Privathaushalte - habe sich in den Industrieländern zwar verlangsamt. Doch das werde wettgemacht durch die Verschuldung der Schwellenländer, warnt Ex-EZB-Chef Trichet.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.