Erhöht die Türkei heute den Leitzins auf 22 Prozent?

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Die Finanzmärkte starren gebannt auf die Türkei. Erhofft wird eine kräftige Erhöhung des Leitzinses. Ob Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan dazu am Donnerstag grünes Licht gibt, ist unsicher.

In der von einer Währungskrise erschütterten Türkei entscheidet die Notenbank heute Donnerstag in einer von der Finanzwelt gespannt erwarteten Sitzung über den Leitzins. Angesichts der ausufernden Inflation im Land sehen die Währungshüter Handlungsbedarf.

Ob sie anders als im Juli jedoch eine Zinserhöhung wagen, ist noch nicht ausgemachte Sache. Denn der mit großer Machtfülle ausgestattete Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist dagegen und hält eine Anhebung sogar für einen Wachstumskiller.

Investoren sorgen sich deshalb um die Unabhängigkeit der Notenbank und hoffen auf eine deutliche Straffung der Zügel. Andernfalls droht nach Ansicht vieler Analysten ein weiterer Absturz der Landeswährung Lira. Und dies mit weitreichenden Folgen für die Wirtschaft der Türkei, die auch andere Schwellenländer in Mitleidenschaft ziehen könnte.

Dem Land am Bosporus setzt bereits der Lira-Verfall arg zu, die seit Jahresbeginn mehr als 40 Prozent an Wert zum Dollar eingebüßt hat. Das hat die Inflationsrate im August auf 17,9 Prozent nach oben getrieben - der höchste Wert seit Ende 2003. "Ohne eine angemessene Reaktion wird die Lira weiter abwerten und sich das Risiko der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen erhöhen", so Commerzbank-Analystin Antje Praefcke. Aktuell liegt der Schlüsselsatz bei 17,75 Prozent. Volkswirte setzen auf eine Erhöhung auf 22,00 Prozent.

Am Schicksal der Lira hängen auch andere aufstrebende Schwellenländer wie Brasilien, Argentinien, Indien oder Südafrika. Denn ihre Währungen sind ebenfalls unter Druck geraten, da sich einige Investoren generell aus der Anlageklasse verabschieden. Die USA locken mit steigenden Zinsen seit längerem wieder vermehrt Kapital an.

Krise ist hausgemacht

Die derzeitige Krise in der Türkei sei vor allem hausgemacht, sagt DIW-Ökonom Malte Rieth: "Dazu gehört eine expansive Konjunkturpolitik, eine hohe Verschuldung und eine Beschneidung der Unabhängigkeit der Zentralbank." Am Schicksal der Lira hängen auch andere aufstrebende Schwellenländer wie Brasilien, Argentinien, Indien oder Südafrika. Denn ihre Währungen sind ebenfalls unter Druck geraten, da sich einige Investoren generell aus der Anlageklasse verabschieden. Wegen der Straffung der US-Geldpolitik fließt weniger ausländisches Kapital in die aufstrebenden Volkswirtschaften. Die USA werden hingegen attraktiver: "Die jüngste Krise im Schwellenland Türkei hat die besondere Rolle des US-Dollar als Weltreservewährung und sicherer Hafen unterstrichen", erklärt DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater.

Der Lira-Absturz hat auch die Sorge ausgelöst, Firmen könnten bei der Refinanzierung in die Bredouille geraten. Doch die Ratingagentur Moody's sieht trotz der unsicheren Aussichten für viele der von ihr unter die Lupe genommenen Unternehmen keine Schwierigkeiten. Commerzbank-Ökonom Ulrich Leuchtmann hält die Türkei dennoch im Kreis der Schwellenländer für besonders krisenanfällig: "Die hohen Auslandsschulden belaufen sich dabei zum allergrößten Teil auf Fremdwährungen, viele werden bald fällig." Er verweist darauf, dass die Exporteinnahmen im Verhältnis zu den Fremdwährungsschulden zudem sehr gering sind.

Erdogan will den Lira-Absturz stoppen, indem er beispielsweise Exportunternehmen verpflichtet, 80 Prozent ihrer Deviseneinnahmen im Ausland in Lira umzuwandeln. Das könnte Firmen, die etwa Rohstoffe im Ausland einkaufen oder Kredite in fremden Währungen abzahlen müssen, stark belasten.

Investoren sind uneins, ob die Lira ihren Boden bereits gefunden hat oder ob der Absturz weitergehen wird. Die Zinsentscheidung gilt dabei als Schlüsselmoment: "Weitere massive Verluste der Lira sind nahezu unvermeidlich, wenn die Zentralbank nicht auf einen restriktiveren Kurs einschwenkt", prognostiziert Jan Bopp vom Schweizer Bankhaus Sarasin.

Konflikt mit USA

Zur Währungskrise kommen auch diplomatische Probleme hinzu, die durch den Bürgerkrieg in Syrien und damit in unmittelbarer Nachbarschaft der Türkei heraufbeschworen werden. Angesichts der Offensive der syrischen Armee auf die Rebellen-Enklave Idlib rief Erdogan die internationale Gemeinschaft jüngst zum Handeln auf. Zugleich beschuldigt er seinen US-Gegenspieler Donald Trump, einen Wirtschaftskrieg gegen sein Land vom Zaun gebrochen zu haben.

Der Konflikt mit den USA kommt für die Türkei zur Unzeit, da die Wirtschaft nach Jahren des Booms schwächelt. Das Bruttoinlandsprodukt legte zwischen April und Juni nur noch um 5,2 Prozent zum Vorjahr zu. Zu Jahresbeginn hatte es noch zu 7,3 Prozent gereicht. "Die Wirtschaft dürfte in den kommenden Quartalen angesichts der kräftigen Abwertung der Landeswährung Lira noch mehr Schwung verlieren", sagt Rabobank-Ökonom Piotr Matys voraus. Die Türkei habe es aber selber in der Hand, die Krise zu entschärfen, so DIW-Ökonom Rieth: "Zentral ist, dass die Glaubwürdigkeit der Notenbank wieder hergestellt wird."

(Reuters)

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