Wayne Shorters: Im Multiversum

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Das erste Studioalbum Wayne Shorters seit 15 Jahren.

Der große Jazzsaxofonist Wayne Shorter, praktizierender Nichiren-­Buddhist und Science-Fiction-Fan, blickte immer schon gern hinter die Fassade der sogenannten Realität. Das zeigt auch seine vom Zeichner Randy DuBurke umgesetzte Graphic Novel „Emanon“, die dem musikalischen Projekt, das drei CDs umfasst, auch den Namen gibt. Zwei davon wurden live mit Band in London aufgenommen, eine im Studio mit dem 34-köpfigen Orpheus Chamber Orchestra. Es ist das erste Mal seit dem famosen Album „Alegria“ (2003), dass Shorter wieder Studioaufnahmen veröffentlicht. Womöglich auch das letzte Mal, ist er doch auch schon 85 Jahre alt. Um so passender, dass er sich mit dem beschäftigt, was hinter der großen Passage, dem Tod, liegen könnte. In der Graphic Novel verfolgt Shorter die Idee eines Multiversums.

Und doch nimmt die Geschichte einige gesellschaftliche und politische Bezüge auf unsere Welt: eine tyrannische Regierung, ein künstlich geschürtes Klima der Angst, Misstrauen gegen Fremdes, Apathie. Der Held „Emanon“ („no name“ von hinten) versucht, diese dystopische Welt zu einem besseren Ort zu machen – wie es Wayne Shorter mit Klängen immer schon gemacht hat. Und so charmiert das vierteilige Orchesterwerk der Studioplatte mit angemessen rätselhafter Anmutung. Die ersten beiden Sätze greifen auf die griechische Mythologie zurück: Das fünfzehnminütige „Pegasus“ ist eine dialogische Tour de force zwischen Pianist Danilo Pérez und Shorter auf dem Sopransaxofon, ehe Staccatophrasen von Bläsern und Streichern einsetzen; „Prometheus Unbound“ sediert mit leiseren Klängen. Shorters Quartett spielt sanfte Interludien, das Orchester dominiert mit bauschigen Klängen die musikalische Langstrecke. Das epische „Lotus“ zeigt die Musiker dann in ausladend romantischem Gestus. Auf dem abschließenden, melodisch eingängigen „The Three Marias“ brilliert Shorter sowohl am Sopran- wie am Tenorsaxofon.

Ambitioniert. „Emanon“ enthält drei CDs, zwei davon live.
Ambitioniert. „Emanon“ enthält drei CDs, zwei davon live.(c) Beigestellt

Aufregend. In den Livepassagen hört man, warum Shorters seit bald zwei Jahrzehnten bestehende Band, in der neben Pianist Pérez auch Bassist John Patitucci und Schlagzeuger Brian Blade spielen, als eines der aufregendsten Kleinensembles des heutigen Jazz gilt. Hintersinnige Melodien, subtile Rhythmen und delikates Understatement sind seine Trümpfe. Ein Highlight: die verträumte Lesart des irischen Folksongs „She Moved Through the Fair“. Kurz: „Emanon“ ist ein ambitioniertes Projekt, das rundum gelungen ist. Ob man nun die Graphic Novel lesen mag oder nicht. (Blue Note)

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