„Niemand braucht Klassiker, aber jeder will sie“

(C) Werk/ Beigestellt
  • Drucken

Sagt Tim Hannig, Chef von JLR Classic. Und sorgt dafür, dass die Leute bekommen, was sie wollen: „Reborn“ bietet vollrestaurierte Oldtimer zum Fixpreis mit Neuwagengarantie.

Auferstehung ist immer eine heikle Geschichte. Glaubenssache, könnte man auch sagen. Selbst ohne die Bibel zu bemühen: Frankensteins Blitz-Idee, Dracula, Terminator, Lieutenant Ripley alias Sigourney Weaver samt Alien – auch die Liste des neuzeitlichen Wiedergängertums ist lang, aber vorwiegend unerfreulicher Natur. Dank Jaguar-Land Rover – kurz: JLR – bekommt die Sache jetzt einen deutlich hedonistischeren und auch viel praktischeren Aspekt. Und in ein feines Geschäftsmodell gießen die Briten das Ganze auch noch.

(C) Werk/ Beigestellt

Drei ikonische Modelle aus der Markenhistorie können wieder bestellt werden, fast so, als wären es Neuwagen: Der unverwüstliche Land Rover Serie I, der zweitürige SUV-Ahnvater Range Rover Classic und das Phallus-Symbol der Roaring Sixties schlechthin, der Jaguar E-Type. Auf Bestellung beschafft JLR Classic ein eingehend geprüftes Restaurierungsobjekt, das als Basis für den kompletten Neuaufbau erster Güte dient. Was bedeutet: komplettes Strippen der Karosserie bis auf das nackte Blech. Ist der Lack einmal ab, werden die Narben der Vergangenheit rückstandsfrei geheilt. Auch Motor, Getriebe und Fahrwerk erfahren chirurgisches Sezieren und Vermessen samt akribischem Neuaufbau. Beim Interieur bekommt das Ganze gar einen Hauch von CSI: Die Originalität von Leder, Stoffen und Teppichen wird genau untersucht, und auch das neue Material, ident mit der seinerzeitigen Naturfaser in ihren Farbtönen, ist authentisch nachgereicht.

Tatsächlich hat JLR Classic aber schon das Rad neu erfunden: Blecherne Teller-Felgen für den Ur-Landy waren einfach nirgendwo mehr zu finden – dafür tauchten die 70 Jahre alten Pressen in einem Lager in Solihull wieder auf. Die Laservermessung ergab allerdings nicht ganz die geometrisch reine Form eines Kreises – man hatte es damals einfach nicht so mit der Präzisionsfertigung. Mit heutigen Möglichkeiten waren die Formen allerdings rasch nachgebessert, womit es nun, 60 Jahre nach dem Produktionsende des Land Rover Serie I zum ersten Mal runde Räder gibt. Nicht, dass die das Fahrerlebnis besonders verbessern würden: Der seinerzeit vom US-Willy’s Jeep abgekupferte Erfolgs-Kraxler ist zumindest gefühlt einem landwirtschaftlichen Gerät näher als einem Auto – und fährt sich auch so. Der Versuch, damit auf der Landstraße wenigstens 50 Meilen pro Stunde zu erreichen, ist zwar gelungen – man unterlässt eine Wiederholung aber freiwillig. Dabei: So gut wie die Reborn-Ausgabe war er zu seinen ersten Lebzeiten nie.

Gleiches gilt für den Range Rover Classic und den E-Type: Das Finish der Autos ist bestechend, die Spaltmaße sind perfekt, die Türen schließen so präzise wie bei einem Neuwagen, klingen aber viel schöner. Die Motoren laufen seidenweich, verschlucken sich nie, die Fahrwerksabstimmung ist perfekt, die Schaltung leichtgängig. Wenn einmal etwas klappert, dann fällt das unter Originalitätserhalt.
„Wir kehren die Erfahrung einer Restaurierung um. Bei uns kommt der größte Brocken zuerst: Der Preis. Von da an wird alles nur noch besser.“ erklärt Hannig die Intention hinter dem Reborn-Angebot. Was bedeutet, dass der Wagen zum kalkulierten Fixpreis geliefert wird. Die unerfreulichen Erfahrungen, von denen eine gängige Restaurierung oft begleitet ist – meist mit einem Anruf der Werkstätte im etwaigen Wortlaut „Sie kommen besser einmal vorbei und schauen sich das an . . .“ beginnend und mit Verlust unerwarteter Summen endend – bleiben den Kunden erspart. Bevor „Sparen“ hier vielleicht falsche Assoziationen auslöst: Ab 75.000 Pfund kostet ein Reborn Landy, ab 140.000 der Range Rover V8, ab satten 295.000 beginnt es für ein E-Type Coupé Serie I mit 3,8 Liter Sechszylinder-Motor.

Grundsätzlich wird der absolute Originalzustand angeboten, nur eben besser. Sonderwünsche wie elektronische Zündung, Edelstahl-Auspuffanlage, elektrische Kühlerventilatoren oder kräftiger zupackende Bremsen sind möglich – und kosten extra.
In jedem Fall steht auf der Rechnung am Ende – oder eigentlich am Anfang – ein Mehrfaches des Marktwertes durchschnittlicher Fahrzeuge dieser Modelle. Nur, dass die hier eben nicht durchschnittlich sind, sondern eine Qualität im Concours-Status aufweisen – und der Nachweis ihrer Herkunft aus dem Reborn-Stall anzunehmenderweise den Werterhalt sichert. Wer eine derartig umfassende Restaurierung in solcher Qualität anderswo beauftragt, kommt auch nicht günstiger weg.

JLR Classic hat eine Menge Forschungsarbeit investiert: Ein gutes Jahr lang wurde daran getüftelt, den heutigen Wasserlacken die optische Qualität und Tiefe der Originallacke auf Nitrobasis zu verpassen. Oder ihren Metallic-Varianten den Flittereffekt von damals, wo der Legende nach pulverisierte Fischschuppen eingemischt wurden. Der Frage, ob so eine „Body-Off“-Restaurierung nicht zulasten des Vintage-Charmes eines Klassikers geht, weicht Hannig nicht aus: „Unser Limit ist ein Mindestanteil von 80 Prozent Originalteilen. Ein Restaurierungsobjekt, bei dem wir das nicht halten können, kaufen wir gar nicht an.“ Ist das Leder etwa noch für eine Aufarbeitung und Nachfärbung im Originalton geeignet, so wird es den entsprechenden Spezialisten übergeben und erhalten.
Von denen arbeiten im Classic Center in Coventry an die zweihundert in vierundfünfzig unterschiedlichen Arbeitsstationen an Blech, Technik und Interieur. Wer ölige Werkstätten-Romantik erwartet, wird enttäuscht: Hier herrscht klinische Laboratmosphäre, sauberes Arbeiten ist oberstes Gebot.
Die Bestellsituation beschreibt Hannig („Wir sind ein bisschen der Spielzeugladen der Firma“) als höchst erfreulich, was ein britischer Euphemismus für das ist, was Deutsche vollmundig als „proppenvolle Auftragsbücher“ bezeichnen würden. Ein Brexit-sicheres Classic-Center in Essen bedient künftig den Kontinent, ein weiteres in Savannah/Georgia die neuweltlichen Kunden.

Dass es deswegen zu einem Goldrausch auf dem Markt für diese drei Modelle kommen wird, wie man befürchten könnte, ist dennoch nicht zu erwarten. Die Handarbeit in allen drei Zentren gestattet nur niedrige zweistellige Stückzahlen als Jahresoutput – Ankäufe von Restaurierungsobjekten in dieser Zahlenstärke eignen sich nicht zum Ruinieren des Marktes. Damit dürfte gesichert sein, dass weiterhin alle, die es wollen, das bekommen, was keiner braucht.

(C) Werk/ Beigestellt

Jaguar E-Type Coupé Serie I (1961–1974)

Blechdach statt Cotton

Hubraum 3781 ccm (1961–1964)
Leistung 269 PS
L/B/H, Radstand 4450/1660/1220, 2438 mm
0-100 km/h 7,0 sec.
Vmax 241 km/h
JLR Classic Preis: ab 295.000 Pfund

(C) Werk/ Beigestellt

Range Rover Classic (1970–1994)

Der erste Bulle

Hubraum 3528 ccm
Leistung 130 PS
L/B/H, Radstand 4445/1781/1801, 2540 mm
0-100 km/h 16,6 sec.
Vmax 150 km/h
JLR Classic Preis: ab 140.000 Pfund

(C) Werk/ Beigestellt

Land Rover Serie I (1948–1958)

Allzweck-Werkzeug mit vier Rädern

Hubraum 1595 ccm (1948–1951)
Leistung 51 PS
L/B/H, Radstand 3353/1549/1867, 2032 mm
0-100 km/h nie
Vmax 75 km/h (empfohlen)
JLR Classic Preis: ab 75.000 Pfund

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.