Heinz Fischer: „Nur SPÖ-Bundeskanzler wären nicht gut“

„Schüssel hat die Verbindung zur Opposition nie abreißen lassen, wie es die jetzige Regierung tut“: Heinz Fischer, früherer Bundespräsident, wird am Dienstag 80.
„Schüssel hat die Verbindung zur Opposition nie abreißen lassen, wie es die jetzige Regierung tut“: Heinz Fischer, früherer Bundespräsident, wird am Dienstag 80.(c) Stanislav Jenis
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An der Russland-Politik der Regierung habe er nichts auszusetzen. An der Flüchtlingspolitik hingegen schon. Ein Gespräch mit Alt-Bundespräsident Heinz Fischer zum 80. Geburtstag.

Die Presse: Wären Sie gern einmal Bundeskanzler geworden?

Heinz Fischer: Ich habe großen Respekt vor dem Amt des Bundeskanzlers, weil ich gesehen habe, wie schwierig es ist und wie nahe das Hosianna und das Crucifige oft beisammen liegen. Ich war froh, dass das nicht an mich herangetragen wurde.

Wie haben Sie die vergangenen Wochen als Sozialdemokrat erlebt?

Es waren schwierige Wochen. Aber die Sozialdemokratie hat immer wieder schwierige Zeiten erlebt – und sie überwunden. Der Wechsel an der Spitze eines Landes ist für die Demokratie, so bitter er im Einzelfall sein mag, aber systemgerecht. Es wäre nicht gut, wenn es in Österreich seit 1945 nur ÖVP- oder nur SPÖ-Bundeskanzler gegeben hätte.

In Ihrem jüngsten Buch kritisieren Sie, dass Sebastian Kurz Reinhold Mitterlehner aus dem Amt gedrängt habe. War das etwa was anderes als bei Alfred Gusenbauer und dann bei Werner Faymann?

Manchmal geht es in der Politik sehr rau zu. Mir hat das nie gefallen. Ich habe glücklicherweise auch immer wieder Leute getroffen, die das so sehen wie ich. Im konkreten Fall bin ich vielleicht auch von der Tatsache beeinflusst, dass ich Mitterlehner als einen persönlichen Freund betrachte.

Jörg Haiders Todestag jährt sich zum zehnten Mal. Wie haben Sie ihn gesehen?

Mein erster Eindruck in den 1970er-Jahren war: Das ist einer aus der liberaleren Garde der FPÖ. Er hat sich sehr für Sozialpolitik interessiert und schien von der Vergangenheit ziemlich unbelastet. Aber er hat sich sehr geändert, als die Kärntner FPÖ zur Basis seines Aufstiegs wurde. Jörg Haider war ein intelligenter, einfallsreicher, ziemlich rücksichtsloser Politiker und der Pionier des nationalen Rechtspopulismus in Österreich.

Was ist der Unterschied der Regierung Schüssel-Haider zur türkis-blauen?

Das Thema Flüchtlinge und Ausländer hat seit der Regierung Schüssel noch viel größere Relevanz in der politischen Diskussion bekommen. Und Wolfgang Schüssel hat die Verbindung zur Opposition nie abreißen lassen, wie es die jetzige Regierung tut. Auch gab es damals keine Orbáns und Salvinis.

Es ist das Migrationsthema, das diese Bewegungen begünstigt. Verstehen Sie das diesbezügliche Unbehagen? Probleme mit muslimischen Schülern hat jüngst die Lehrerin Susanne Wiesinger thematisiert.

Ich verstehe das Unbehagen sehr gut. Aber die Frage ist doch: Soll ich dieses Unbehagen zuspitzen, politisch orchestrieren? Oder soll ich versuchen, es sachlich zu behandeln? Ich mache bestimmt keiner Lehrerin Vorwürfe, die bedrückt ist, weil sich die Probleme in ihrer Klasse verdreifacht haben. Ich mache jene verantwortlich, die alles tun, um Flüchtlinge in eine Ghetto-Situation zu drängen und das Minimum an Lebensunterhalt so reduzieren, dass sich die Situation nur verschärfen kann. Es geht nicht um Vorwürfe an den Bürger, sondern an diejenigen, die sich anders verhalten, als sich die Österreicher gegenüber den Flüchtlingsbewegungen im 20. Jahrhundert verhalten haben.

Die Ungarn und Tschechoslowaken, die Sie da jetzt ansprechen, haben mit uns jahrhundertelang in einem gemeinsamen Staat gelebt – das ist leichter als etwa mit Afghanen.

Da haben Sie recht. Aber darf ich deshalb sagen: Es gibt zwar den Grundsatz, dass die Menschenwürde für alle gleich ist, aber wir meinen natürlich nur die, die in unserem Kulturkreis leben? Darf ich parteipolitisch zuspitzen und ins Feuer blasen, anstatt um gute Lösungen bemüht zu sein?

Teilen Sie den Eindruck, dass die sonst sehr religionskritische Linke gegenüber dem Islam überaus tolerant ist?

Nicht toleranter als die katholische Kirche.

Der Vorwurf Wiesingers war, dass die SPÖ Integrationsprobleme totschweige aus Sorge, damit rechten Parteien zuzuarbeiten. Ist da etwas dran?

Ich glaube nicht, dass man sagen kann, Fehler sind nur auf der rechten gemacht worden und bei der linken Seite ist alles richtig gewesen. Was mich besorgt macht, ist, dass Werte, die wir an hohen Feiertagen beschwören, schlecht oder überhaupt nicht angewendet werden, wenn man damit zulasten von Flüchtlingen Punkte sammeln kann. Da wäre es notwendig, die Taktik beiseitezulegen und Haltung zu zeigen.

Was halten Sie vom SPÖ-Migrationspapier, das viele Regierungspositionen übernommen hat?

Ich fürchte, ich habe mich nicht gut genug ausgedrückt: Es geht mir nicht um Paragrafen und Formulierungen. Es geht um eine Gesinnung. Ich lehne es ab, parteitaktische Spielchen auf dem Rücken dieser Menschen zu spielen. Wenn Sozialdemokraten dagegen verstoßen, dann bin ich genauso wenig einverstanden, wie wenn das jemand mit einer anderen politischen Orientierung tut.

Ein Staat muss die Zuwanderung doch begrenzen können – oder?

Da haben Sie recht. Aber wenn zumutbare Grenzen überschritten werden – und im Augenblick ist das nicht der Fall –, muss ich eben auf andere Weise versuchen, Hilfe zu leisten und etwa Länder wie Jordanien oder den Libanon zu unterstützen, die in Bezug auf ihre Bevölkerung 20-mal so viele Flüchtlinge haben wie wir.

Sie hatten als Bundespräsident immer ein gutes Verhältnis zu Wladimir Putin. Haben Sie die Aufregung um die Hochzeit der Außenministerin verstanden?

Ich habe mich nicht aufgeregt. Ich finde, dass ein Land wie Russland ein Gesprächspartner für Österreich sein muss. Ich werde einer Außenministerin des Jahres 2018 keinen Vorwurf machen, wenn sie sich um gute Beziehungen zu Russland bemüht. Ich gebe kein Urteil über die gesamte Außenpolitik ab, aber an der österreichischen Russland-Politik habe ich nichts zu kritisieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2018)

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