Johann Kresnik: Mit dem Vorschlaghammer mitten ins Herz

Tanzberserker. Der 79-jährige Choreograf Johann Kresnik steht noch immer unter Volldampf.
Tanzberserker. Der 79-jährige Choreograf Johann Kresnik steht noch immer unter Volldampf.(c) Sakher Almonem
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Wut und Wahnsinn, Blut und Tränen charakterisieren Johann Kresniks choreografisches Theater.

Blut auf der Bühne, Tränen im Publikum. Das Markenzeichen des Tänzers und Pioniers des deutschen Tanztheaters Johann Kresnik. Einst, in den 1970- und 1980er-Jahren, hat er die Kritiker auf die Barrikaden gerufen und das Publikum begeistert. Jetzt lebt der 1939 im Kärntner St. Margarethen geborene Choreograf mit seiner jüngsten Tochter in Bonn. Ruhe gibt er noch lange keine. Er inszeniert und provoziert, rekonstruiert und studiert Proben seiner Tanzstücke, die er „choreografisches Theater" nennt. Aktuelll in Linz, wo nach 30 Jahren das Mörderpaar „Macbeth" im Blut waten wird.

Johann Kresnik und Mei Hong Lin, Direktorin von TanzLin.z, haben einen guten Draht zueinander, schon in ihrer Darmstädter Ära hat Lin das Publikum mit Kresniks choreografischen Theaterstücken „Ulrike Meinhof" und „Sylvia Plath" aufgewühlt. Einstudiert hat damals wie heute Christina Comtesse, einst Tänzerin in Kresniks Ensemble am Theater Bremen, seit 2016 stellvertretende Ballettdirektorin und Choreografin bei TanzLin.z. Wieder sitzt sie mit dem großen Heft bei den Proben neben Kresnik und stopft Gedächtnislücken. Dem Meister bewegt sich nicht nur der Vorhang zu langsam. „Schneller, schneller", treibt er Tänzer und Bühnentechniker an. Auch der Tatortreiniger schreitet ob der schweren Blutkübel, die er zu schleppen hat, zu feierlich. „Not so slow", mahnt in Kresnik und wirft die Arme in die Höhe. Still zu sitzen ist ihm nicht beschieden, eine Lokomotive unter Volldampf. „Mittagsschlaf?", ruft er empört über das Ansinnen, ihm nach zwei Stunden anstrengender Arbeit eine Ruhepause zu gönnen. Auch wenn er erklärt, dass ihm das meiste „ganz wurscht" ist, und die wegwerfende Handbewegung gern mit dem Götzzitat verziert, ist ihm vieles gar nicht wurscht. Die Qualität der Tänzer und auch ihr Wohlergehen, schieflaufende Politik, die Lage der Armen und Unterdrückten und die Waffenlieferungen: „Ich bin Pazifist." Ein rostiger vermutlich, so wie er seine Stücke charakterisiert: „Das heißt nicht geglättet, mit Ecken und Kanten."

Unzufrieden mit Spitzentanz-Samthosen. Obwohl Kresnik von der Kärntner Tanzgemeinde als Aushängeschild genutzt wird und das 2011 gegründete Choreografische Zentrum Bleiburg seine Namen trägt, ist sein Kärntner Leben eher eine Episode. Der Vater wurde im Zweiten Weltkrieg während eines Heimaturlaubs von slowenischen Partisanen erschossen, der dreijährige Hans erlebte den Mord mit. 1945 verkaufte die Mutter den Bauernhof oberhalb von Bleiburg und zog mit der bereits verheirateten Tochter nach Graz, der sechsjährige Hans musste mit und mutierte zum Steirer. In Graz hat er eine Werkzeugschlosserlehre begonnen „und fertig gemacht, ohne Gesellenbrief bin ich Werkzeugmacher geworden". Womöglich beruht darauf das ihm schon nach den ersten Erfolgen umgehängte Epitheton „Berserker", das seither unablösbar an ihn klebt: „Ist mir wurscht!" Noch während der Lehre stand er als Statist auf der Bühne das Landestheaters und entdeckte seine Leidenschaft für den Tanz. Mit zwanzig begann er eine Tanzausbildung, sechs Jahre später war Kresnik bereits Solotänzer unter Aurel von Milloss in Köln, bald auch Gast in New York bei George Balanchine. Der ermutigte ihn, „seinen eigenen Gefühlen und Ideen zu folgen", und Kresnik, unzufrieden mit dem Spitzentanz als Prinz in Samthosen, begann selbst zu choreografieren.

Auch als Tänzer und Choreograf war und ist Kresnik ein politischer Mensch. Mit 18 ist er in Graz der KPÖ beigetreten und immer noch Mitglied. „Ganz klar, Landessektion Steiermark. Mit dem Stalin und den Faschisten habe ich nie etwas am Hut gehabt." Die waren ihm „total wurscht". Mit 20 ist er nach Deutschland emigriert. „In Österreich war es nicht möglich, den Kriegsdienst zu verweigern, ich habe mir aber geschworen, niemals eine Waffe in die Hand zu nehmen. Am Samstag bin ich abgehauen, am Montag darauf kam meine Einberufung." Sein Theater ist nicht nur choreografisch, sondern auch hochpolitisch. „Wozu sonst macht man Theater? Ich habe keine Botschaften, aber ich möchte das Publikum zum Denken anregen, es mit Tatsachen konfrontieren." Der schöne Schein des ewig Gleichen von Anmut und Grazie schläfert ein. Johann Kresnik will aufwecken. Die drastischen Bilder, die er erschafft, sprechen eine deutlichere Sprache als Shakespeares Verse.

Macht und Missbrauch. Ob „Die Hamletmaschine" von Heiner Müller oder „Pasolini", ob „Oedipus" oder „Hänsel und Gretel", das Hier und Jetzt, der Zustand der Gesellschaft ist das brandaktuelle Thema, historisch, literarisch ist nur die Vorlage.

Zum choreografischen Theater „Macbeth" ließ sich Kresnik durch einen politischen Skandal in Deutschland anregen. Im September 1987 musste der CDU-Politiker Uwe Barschel, nach einer Klage wegen Verleumdung und dem anschließenden horrenden Stimmenverlust der CDU bei der Landtagswahl, als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein zurücktreten. Wenige Wochen später wurde er in einem Genfer Hotel vollständig bekleidet tot in der Badewanne gefunden. Die Polizei entschied auf „Suizid", nicht nur die Familie bezweifelte das. Mit dieser unappetitlichen Affäre lassen sich die 16 Badewannen im Bühnenbild von Gottfried Helnwein erklären. Doch Erschrecken, Ekel und Scham wirken ebenso ohne Kenntnis des aktuellen Anlasses. Die Bestürzung lässt auch, nachdem die Hochrufe verklungen sind, nicht nach. Kresnik: „Gerade heute, gerade in Österreich ist das Stück über Macht und deren Missbrauch ganz wichtig. Es ist ja auch ein österreichisches Stück. Kresnik, Helnwein und Schwertsik, von dem die Musik stammt." Da Publikum muss auf starke Kost, brutal, in eindrucksvollen, schönen Bildern angerichtet, gefasst sein. Schon 1970, nach der Bremer Premiere des choreografischen Theaters „Romeo & Julia", hat der Tanzkritiker Jochen Schmidt das Erlebnis Kresnik plastisch beschrieben: „Der Zuschauer hat das Gefühl, mit dem Vorschlaghammer auf den Kopf geschlagen zu werden." Theaterschlaf? Unmöglich.

Tipp

„Macbeth". Johann Kresnik/Kurt Schwertsik/Gottfried Helnwein, choreografisches Theater nach Shakespeare. Premiere: 13. 10., Musiktheater Linz. Auf dem Spielplan bis 15.  2.  2019. www.landestheater-linz.at/

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