Die Grünen gaben sich bürgerlich und positiv: So katapultierten sie sich auf Rang Zwei und kämen auch für eine Koalition mit der CSU in Frage.
München. München. Nach diesem Wahlabend müssen sich die Grünen ernsthaft Gedanken über Fragen machen, von denen sie vor ein paar Monaten nicht zu träumen wagten: Wie dringend wollen sie in Bayern mitregieren und welchen Preis sind sie dafür bereit zu zahlen? Die Öko-Partei katapultierte sich bei den Landtagswahlen auf den zweiten Platz. Mit 18,5?Prozent der Stimmen schnitten die Grünen mehr als doppelt so gut ab wir vor fünf Jahren (2013: 8,6?Prozent). Sie sind die großen Gewinner dieser Wahl.
Mit diesem Ergebnis brachten sich die Grünen in eine Position, die eine Koalition mit der CSU in den Bereich des Möglichen rücken. Es wäre ein seltsames Paar. Die bayerischen Spitzengrünen Katharina Schulze und Ludwig Hartmann sowie Claudia Roth und Anton Hofreiter, die aus Bayern stammenden Grün-Promis aus Berlin. lagen im Freudentaumel.
Eine neue Volkspartei links der Mitte
Die Wahlkampfstrategie der Grünen ging voll auf. Sie saugten Stimmen von den maroden Sozialdemokraten ab und konnten zudem offenbar auch in gleichem Maße (200.000 Stimmen) gemäßigte Christlichsoziale auf ihre Seite ziehen, denen der Flüchtlingskurs von CSU-Chef Horst Seehofer zu radikal war. Ausgerechnet im Freistaat Bayern ist eine neue Volkspartei links der Mitte entstanden, und sie trägt nicht mehr die Farbe Rot, sondern Grün.
Spitzenkandidatin Schulze hatte sich bis zuletzt bemüht, die Erwartungen zu dämpfen. „Ich bin langjährige Handballspielerin, ich weiß, dass man nicht zu früh jubeln darf“, sagte sie vor dem Urnengang. Doch diesmal schnitten die Grünen am Wahltag genauso gut ab wie schon in den Umfragen.
Theoretisch wäre eine besondere Pointe dieser Wahl möglich: Die Grünen könnten am Ende eine Partnerschaft mit der CSU eingehen, mit jener Partei also, deren Vorschläge sie im Wahlkampf leidenschaftlich bekämpft haben. Eine eigene Grenzpolizei, über die Bayern als einziges deutsches Bundesland verfügt: Lächerlich, meinen die Grünen. Das Polizeiaufgabengesetz, das Behörden mehr Überwachungsmöglichkeiten gibt: Ein Skandal, findet die Partei. Der Kreuzerlass ist völlig unnötig, die großen Ankerzentren als Flüchtlingsquartiere kontraproduktiv. Außerdem sind die Grünen gegen die dritte Piste auf dem Flughafen München, aber für einen dritten Nationalpark. Das ist nur eine Auswahl an Einstellungen, die die Partei von den Christsozialen trennt.
Ministerpräsident Markus Söder kommentierte bei jeder Gelegenheit, was er vom Programm der Grünen hält. Und zwar: nicht viel. Verbote, Verbote, Verbote seien das nur. Ein „uraltes“ Papier, das nichts Modernes in sich trage. „Das Programm der Grünen ist aus meiner Sicht so in der Form nicht koalitionsfähig“, sagte Söder erst am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“. Auf den ersten Blick klingt es nach einer Absage. Aber Söder schloss selbst nach Drängen in den eigenen Reihen eine Zusammenarbeit mit den Grünen nicht völlig aus. Auch Schulze meinte sicherheitshalber, man könne mit den Grünen immer über eine „proeuropäische, ökologische Politik sprechen“.
Zwei Kandidaten, zwei Zielgruppen
Die Grünen, das sind in Bayern ohnehin recht bürgerliche, pragmatische Kandidaten. Aus Überzeugung?– aber auch, weil es bei den Bürgern ankommt: Schulze spielt mit dem Heimatbegriff, hält Reden im Dirndl und besucht die Polizei. Gleichzeitig kritisiert sie aber auch die strikte Flüchtlingspolitik der CSU, die lang anhaltenden Grenzkontrollen und den mangelnden europäischen Gedanken. „Wir brauchen eine Politik, die Mut gibt, statt Angst macht“, sagt sie. Das kommt bei all jenen Unionswählern an, denen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) näher als CSU-Chef Horst Seehofer steht. So konnten die Grünen im Wahlkampf vom internen Streit zwischen den beiden Schwesterparteien profitieren.
Die Wahlmünchnerin Schulze konzentrierte sich auf den urbanen Raum. Co-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann sollte die ländliche Bevölkerung ansprechen, Aufmerksamkeit erhielt er vor allem beim traditionellen TV-Duell mit Söder – in das er statt der SPD-Kandidatin ging, die in den Umfragen zurücklag. Wie ernsthaft die Grünen vor der Wahl mit dem Gedanken spielten, zeigte auch eines von Hartmanns Ausflugszielen: Hessen. Dort regiert Schwarz-Grün.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2018)