Filmdebatte: „Klerus“ erschüttert Polens Kirche

Unter Pädophilieverdacht: Arkadiusz Jakubik als für Jugendliche engagierter Pastor Kukuła im polnischen Film „Kler“.
Unter Pädophilieverdacht: Arkadiusz Jakubik als für Jugendliche engagierter Pastor Kukuła im polnischen Film „Kler“.(c) REUTERS
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Pädophilie und deren Vertuschung, Korruption und Doppelmoral: Ein in Polen höchst erfolgreicher Spielfilm zeichnet ein düsteres Bild der katholischen Kirche.

„Wo sind denn bloß alle?“, fragt der Pfarrer in einem polnischen Cartoon verdutzt, als er den Messwein segnend die leeren Kirchenbänke sieht. „Im Kino!“, antwortet der Ministrant. Die Zeichnung auf der Titelseite des Wochenmagazins „Angora“ hat fast ebenso Karriere gemacht wie der Film, auf den sie anspielt. Es handelt sich um „Kler“ (deutsch: „Klerus“), den neusten Spielfilm von Wojciech Smarzowski, der schon 2016 mit einem Film über das Massaker in Wolhynien heftige Debatten ausgelöst hat. Drei Wochen nach der Premiere haben 3,54 Millionen „Kler“ gesehen. Das ist jeder achte Erwachsene.

„Kler“ handelt von drei befreundeten Priestern. Der Film beginnt rasant mit einem Besäufnis zu Bibelzitaten und endet mit einer verstörend langsamen Selbstverbrennung eines der Helden. Dazwischen werden die drei Lebensläufe zu einem explosiven Zopf aus Geldgier, Intrigen und Hypokrisie geflochten. Da ist zunächst der findige, elegante Bischofsassistent mit seinem Geldkoffer, der von einer Karriere im Vatikan träumt. Dazu der gottesfürchtige Religionslehrer mit pädophilen Neigungen und der einsame Landpfarrer, der seine Sorgen im Wodka ertränkt und seine Geliebte schwängert. „Ich bin ein Hirte vieler Schafe, aber ein Schaf mag ich am liebsten“, sagt er in einer Szene zärtlich zu ihr, worauf sie, beide schon nackt, laut und fröhlich zu blöken beginnen . . .

Durch den Film zieht sich die bildliche Darstellung finanzieller Korruption: Ständig wechseln dicke Pakete aus Banknoten den Besitzer, etwa wenn es um die Planung eines Begräbnisses geht. In Polen gibt es keine Kirchensteuer, die Pfarren sind auf mehr oder weniger freiwillige Spenden angewiesen.

Innenaufnahmen in Kirchen mussten in Tschechien gedreht werden. Kein polnischer Bischof gab dem Regisseur die Erlaubnis, in einer katholischen Kirche zu filmen. Überhaupt wurde „Kler“ schon Monate vor der Premiere von Kirchen- wie Regierungskreisen verdammt. Es sei ein „Aufruf zur Rebellion gegen die Priester“, schrieb die rechtsnationale „Gazeta Polska“. Der Film erinnere an Nazi-Propaganda, monierte das regierungsnahe Onlineportal wpolityce.pl. Die Pädophilen seien alle von den Kommunisten in die polnische Kirche eingeschleust worden, erklärte ein rechtskatholisches Radio seinen Hörern.

Vorführungsverbot in Ostrołeka

In der Stadt Ostrołeka in Masuren wurden sämtliche Filmvorführungen vom Bürgermeister verboten. Und am Filmfestival von Gdynia musste sich das Staatsradio von der Verleihung des Zuschauerpreises an Smarzowski zurückziehen. Seinem Film habe dies nur geholfen, erzählt der Regisseur seitdem genüsslich. Dass er mit der Thematisierung der Pädophilie in ein Wespennest sticht, war ihm natürlich bewusst. Erst zum Jahresbeginn hatte eine vom Justizministerium veröffentlichte Pädophilenliste für großes Aufsehen gesorgt, vor allem weil sich darauf seltsamerweise kein einziger Priester befand. Das Justizministerium lieferte fadenscheinige Ausflüchte, während die Opferhilfestiftung „Nie lekajcie sie“ („Habt keine Angst“) von Dutzenden rechtskräftig wegen Pädophilie verurteilten Priestern sprach. Kurz nach der Filmpremiere hat die Stiftung nun eine Landkarte veröffentlicht, die zeigt, welche Gemeinden betroffen sind.

Schrumpfende Religiosität

In Smarzowskis Film wird die pädophile Neigung eines der Geistlichen mit seinem eigenen Missbrauch noch zu kommunistischer Zeit erklärt. Die katholische Kirche galt damals als Hort der Freiheit. Der Einsatz für Menschenrechte und die antikommunistische Gewerkschaft Solidarność hat ihr erst zu jener Macht verholfen, derer sie sich heute erfreut. Seit dem Wahlsieg der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ist diese noch einmal gewachsen. Die Religiosität der über 90 Prozent Katholiken in Polen jedoch nimmt rapide ab. So nehmen nur noch 26 Prozent der 18- bis 24-Jährigen am Sonntagsgottesdienst teil.

„Kler“ sei ein Werk des Teufels, um noch mehr Polen von der Kirche zu entfremden, heißt es in rechtskatholischen Kreisen. Dem widerspricht Pawel Nowakowski: „Smarzowskis Film wird zu einer Katharsis führen“, sagt der ehemalige katholische Priester, der wegen der Hypokrisie zur lutherischen Kirche konvertiert ist. Der Film sei so erfolgreich, weil Polens Katholiken die Nase voll hätten von der Arroganz und Vertuschungstaktik der Kirche. „Ich rechne nun mit einer Flut von Anzeigen und auch Schmerzengeldklagen der Opfer“, sagt Nowakowski.

In Österreich im Kino: nur im Wiener UCI (Millennium City), im polnischen Original mit englischen Untertiteln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2018)

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