Flüchtlingskrise: Hälfte der Türkei-Hilfen versickert

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat Anfang 2016 mit der EU einen Flüchtlingspakt geschlossen.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat Anfang 2016 mit der EU einen Flüchtlingspakt geschlossen.(c) APA/AFP/DPA/FEDERICO GAMBARINI
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Der Europäische Rechnungshof bemängelt die Zielgenauigkeit der 2016 im Rahmen des Flüchtlingspakts mit Ankara vereinbarten Hilfszahlungen.

Brüssel/Wien. Wie effizient werden jene Gelder eingesetzt, die die Europäische Union für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei bereitstellt? Dieser Frage ging zuletzt der Europäische Rechnungshof nach. Der entsprechende Rechnungshofbericht wurde am Dienstag in Brüssel vorgestellt – und er zeichnet ein durchwachsenes Bild. Demnach kommen die Geldmittel aus Brüssel nicht vollumfänglich bei den Adressaten an.

Am Höhepunkt der Flüchtlings- und Migrationskrise Anfang 2016 hatte die EU unter der Ägide Angela Merkels einen Pakt mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan geschlossen. Die Türkei hatte sich darin verpflichtet, die Flüchtlinge an der Weiterreise nach Europa zu hindern. Im Gegenzug vereinbarte die EU finanzielle Zuwendungen in der Größenordnung von insgesamt sechs Mrd. Euro. Die Hälfte davon wurde in den Jahren 2016 und 2017 aufgewendet – die EU stellte eine Milliarde Euro zur Verfügung, die restlichen zwei Milliarden kamen aus den Budgets der Mitgliedsstaaten. Im Juni 2018 wurde die Überweisung der zweiten Tranche vereinbart, diesmal mit umgekehrter Finanzierungsstruktur: Die Brüsseler Behörde soll zwei Drittel der Aufwendungen schultern, das restliche Drittel aus den nationalstaatlichen Budgets kommen.
Die europäischen Rechnungsprüfer haben untersucht, ob die bereits ausgezahlten Mittel ihren Zweck erfüllt haben. „Bei den meisten Projekten wurden die angestrebten Outputs erreicht, aber bei der Hälfte der Projekte sind die erwarteten Wirkungen noch nicht erzielt worden“, heißt es in dem Bericht von Dienstag. Die Mittelverwendung könnte demnach optimiert werden.

Inhaltliche Differenzen

Der Europäische Rechnungshof führt diese suboptimale Performance auf mehrere Faktoren zurück. Ein Hauptfaktor sind demnach anhaltende Meinungsverschiedenheiten zwischen der EU-Kommission auf der einen und den türkischen Behörden auf der anderen Seite. Die in Brüssel ermittelten „vorrangigen Bedürfnisse von Flüchtlingen (...) in den Bereichen der kommunalen Infrastruktur und der sozioökonomischen Unterstützung“ seien wegen inhaltlicher Differenzen nicht vollumfänglich erfüllt worden, stellen die Autoren des Berichts fest.
Zu den Projekten, die bisher nicht die gewünschten Wirkungen gezeigt haben, gehören dem Rechnungshof zufolge solche, die Flüchtlingen einen besseren Schutz und bessere Bildung ermöglichen sollen. Auch eines aus dem Gesundheitsbereich zählt dazu. Insgesamt gebe es Probleme mit ineffizienten Verwaltungsstrukturen sowie mit intransparenten Kostenrechnungen bei externen Partnerorganisationen, die mit der Verwaltung der EU-Geldmittel beauftragt wurden. „Die Kommission bewertete bei der Prüfung von Projektvorschlägen nicht umfassend und einheitlich die Angemessenheit der budgetierten Kosten“, bemängelt der Rechnungshof.
Die Türkei ist aufgrund ihrer geografischen Lage für viele Flüchtlinge sowohl ein Aufnahme- als auch ein Transitland. Aufgrund der verstärkten Migrationsströme, hauptsächlich als Folge des Syrienkonflikts, hat das Land mit fast vier Millionen Menschen so viele Flüchtlinge wie kein anderes Land auf der Welt aufgenommen. Etwa 3,5 Millionen davon sind Syrer, rund 94 Prozent von ihnen leben außerhalb von Flüchtlingslagern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2018)

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