Paul McCartney: Nur Noten kann er keine lesen

McCartney posiert mit US-TV-Star James Corden in der Penny Lane.
McCartney posiert mit US-TV-Star James Corden in der Penny Lane. Getty Images (Craig Sugden)
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Paul McCartney beehrt Wien mit zwei Konzerten. Sein aktuelles Album "Egypt Station" ist sein 25. seit dem Ende der Beatles.

Am Ende war es überraschend, wie heftig Paul McCartneys Folge der US-Reihe "Carpool Karaoke" beim Publikum ankam. James Corden, ein in den USA wirkender Londoner, reiste für diese recht aufwendige Folge nach Großbritannien, ließ McCartney ein nicht ganz so geheimes Geheimkonzert spielen. Wichtiger aber war, dass er ihn überreden konnte, den historischen Arbeiterziegelbau in der Forthlin Street 20 zu betreten. Dort lebte er die entscheidenden Jahre von 1955 bis 1963, ehe ihn die Beatlemania wegschwemmte. McCartney, der all die Jahre Freunde und Kollegen mit Freuden durch sein Liverpool führte, vermied es bislang, da reinzugehen. Er meinte, es könnte seltsame Gefühle auslösen. Nicht, dass da noch jemand wohnte. Mitte der 1990er-Jahre hat es der National Trust erworben und in eine Art Originalzustand versetzt, das Klavier platzierte man im Wohnzimmer. Jenes Ins trument, das ihn sein jazzbegeisterter Vater überredete zu erlernen, weil man dann häufig auf Partys eingeladen wird. Just auf jenem Klavier klimperte Paul nun mit beinah 76 Jahren sein altes "When I m 64". Und es machte ihn zur eigenen Überraschung recht froh. "It was good it broke the spell."

Mehr als 32 Millionen Menschen sahen sich den 23-minütigen "Carpool Karaoke"-Clip an. Der beste Beweis dafür, dass es nicht bloß Beatlemania, sondern auch Macca-mania gibt. Und das, obwohl es McCartney seit Mitte der 1980er-Jahre nicht mehr gelang, mit einem einzelnen Lied einen Hit zu lancieren. Der Mann, der Klassiker wie "And I Love Her", "Eleanor Rigby" und "Let It Be" komponiert hatte, würde sehr gern ein Combeback in der Singleshitparade haben. Dafür machte er auch so schräge Dinge wie 2015 mit Kanye West und Rihanna zu komponieren und als deren Gitarrist aufzutreten. Platz drei gab es für "FourFiveSeconds". Mehr Schlagzeilen machte, dass McCartney bei der später stattfindenden Kanye-West-Grammy-Party von Türstehern abgewiesen wurde. Was für eine Schmach für einen Beatle! Er nahm es überraschend gelassen.

1960: Paul McCartney auf der Bühne des Cavern Nightclub in Liverpool
1960: Paul McCartney auf der Bühne des Cavern Nightclub in LiverpoolGetty Images

Seine Makel. McCartney ist der beatleskeste Beatle. Niemand litt mehr als er, als sich die berühmteste Band der Welt zwischen 1969 und 1970 trennte. Man blieb freundschaftlich verbunden, arbeitete zuweilen gemeinsam im Studio an diversen Plattenprojekten. Aber alle vier haben sich nie mehr getroffen. "Wenn man die Beatles nicht mag, dann mag man sie wegen McCartney nicht. Wenn man die Beatles trotz ihrer Makel liebt, dann liebt man sie trotz der Makel von McCartney. Wenn sie überschätzt werden, werden sie wegen McCartney überschätzt", formulierte US-Autor Rob Sheffield in einem Text mit dem bezeichnenden Titel "Paul Is a Concept by which We Measure Our Pain" (was wiederum eine Paraphrase einer Textzeile von John Lennons "God" ist). Tatsächlich hat McCartney neben Unvergänglichem wie "Yesterday" auch Songs geschaffen, die ein wenig umstritten waren. Das kindische "Ob-La-Di, Ob-La-Da" etwa oder das kitschige "Ebony And Ivory". "Das Alberne, das Banale, Nicht-zu-Ende-Gedachte und manchmal vielleicht auch das Peinliche sind aber, so kurios das klingen mag, essenziell für sein Werk. Man liebt Paul McCartney nicht trotz, sondern unter anderem auch wegen seiner Makel", befand Maik Brüggemeyer im "Rolling Stone"-Magazin ziemlich treffend.

Nicht alle mögen es glauben, aber es dürfte tatsächlich so sein, dass McCartney, der vielen als größter Melodiker der Popmusik des 20. Jahrhunderts gilt, unter allerlei Unsicherheiten leidet. Er wisse bis heute nicht, wie man einen Song richtig schreibt, behauptet er. Man weiß, dass er keine Noten lesen kann. Dafür aber brütet er seine Lieder in mannigsfaltigsten Szenarien aus. Sobald Druck entsteht und er nervös wird, entwickelt McCartney erstaunliche Verdrängungsmethoden. Beim famosen Jazzprojekt "Kisses on the Bottom" etwa, bei dem die "Presse" eines der raren Face-to-Face-Interviews führen konnte. In den berühmten Capitol-Studios war er von absoluten Könnern umgeben. Pianistin Diana Krall, Gitarrist John Pizzarelli und legendäre Arrangeure wie Johnny Mandel und Alan Broadbent waren im Raum, als er ein geschichtsträchtiges Mikrofon vor der Nase jäh unsicher wurde. "There was one moment, when we were having a puzzle over some slight problem, and I said, I don t mind. I m in L.A., I m British. I m a tourist. I m in Capitol Studios and I m singing on Nat ,King Cole s microphone I m on holiday!"

The Freshen Up Tour

Seine Konzerte. Eine Konfiguration, in der er sich sicher fühlt, ist seine langjährige Band mit u. a. Keyboarder Paul Wickens, Schlagzeuger Abe Laboriel Jr. und den Gitarristen Brian Ray und Rusty Anderson. Mit ihnen wird er auch jene zwei Konzerte in der Wiener Stadthalle bestreiten, die für Dezember anstehen. Obwohl er mit "Egypt Station" ein großartiges neues, beinah psychedelisches Album im Rücken hat, wird McCartney das ganz große Panorama entfalten. Klassiker und Raritäten der Beatles und seiner zweiten wichtigen Band The Wings werden Seite an Seite mit den Ohrwürmern seiner Solokarriere gebracht. Lustvoll wird der 76-Jährige noch einmal die Glocke der Naivität läuten, die die Gegenkultur der 1960er-Jahre so attraktiv gemacht hat. Und sich angstfrei in den Taumel der Worte stürzen. Die Art von Schönheit, die er in seiner Songlyrik suchte, war von jeher ans Lautmalerische, ans Assoziative gebunden. Als Komponist hing er dem Klang der Worte eher nach als deren Bedeutung. Was bei McCartney, dem einstigen Beatle mit den traurigen Augen, dazukommt, ist die Gabe, eine tröstliche Perspektive zu schenken. Da kann eine Melodie noch so melancholisch sein, in seiner Singstimme ist stets ein stilles Lächeln mitkommuniziert, das alles Düstere koloriert. Dann sind die Hörer gemeinsam mit McCartney endlich im Modus Holiday.Paul McCartney kommt im Rahmen seiner Tournee am 5. und 6. Dezember in die Wiener Stadthalle. www.stadthalle.com

"Egypt Station" ist das 18. Solo-Album des Ex-Beatle. Es ist am 7. September bei Capitol Records erschienen.

("Die Presse-Kulturmagazin", 19.10.2018)

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