Pop

Bilderbuch: Oh, gib mir das Gefühl, dass ich etwas fühl!

Noch besser als ihr wüster Musikmix ist allerdings, dass die Texte unausdeutbar sind. Das Vage, das Mysteriöse lockt Hörer in einen Status der Empathie.
Noch besser als ihr wüster Musikmix ist allerdings, dass die Texte unausdeutbar sind. Das Vage, das Mysteriöse lockt Hörer in einen Status der Empathie.(c) Hendrik Schneider
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Bilderbuch veröffentlichen zwei Alben im Abstand von zwei Monaten. „Mea Culpa“ kommt am Dienstag in die Läden. Spielerisch behaupten sie mit hippen Sounds und perfekten Punchlines ihre Ausnahmestellung in der deutschen Popmusik.

Die Art, wie heutzutage ein Album lanciert wird, bestimmt ganz sicher seinen Erfolg. Dafür gibt es Strategien mannigfaltiger Art. Bilderbuch, die oberösterreichische Hipsterband, deren Strahlkraft bis in die nördlichsten Zipfel Deutschlands reicht, hat sich für mehrerlei entschieden. Nämlich tröpferlweise auf Instagram und Twitter Fakten zu kommunizieren, zudem aber auch voll auf die Kraft etablierter Medien zu setzen. Im Gegensatz zu Cloudrapper Yung Hurn, der in seinem superlässigen Konzert am Sonntag im Gasometer halbstark behauptete, er hätte die Presse ausgesperrt, hegen Bilderbuch Vertrauen in die Expertise der von Interneteuphorikern spöttisch Holzmedien genannten Institutionen. Mit Reiner Reitsamer heuerten Bilderbuch sogar einen waschechten Musikjournalisten als Autor ihres Pressetextes an.

Zudem zauberten sie am Wochenende alle relevanten Daten auf die Computer vertrauter Musikschreiber: Dem überraschend heute veröffentlichten Album „Mea Culpa“ folgt bereits am 19. Februar die nächste Liedersammlung „Vernissage My Heart“. Ein Overkill? Wohl nicht, stehen doch die elastischen Grooves und die polyvalenten Texte voll in einem Zeitgeist, der im Vagen den sicheren Grund findet. In Zeiten, in denen es vielleicht noch nie so leicht war, sich im eigenen Kopf zu verirren, singt Maurice Ernst von der Kraft der Liebe in der Entfremdungswüste von Internet-, Produkt- und Entertainment-Overkill. Im verträumt klimpernden Opener „Sandwishes“ üben sie sich einmal mehr in betont zeitgenössischer Metaphorik.

„Baby, pass auf, du träumst Träume!“

Ihr Faible für ein Gemisch aus Deutsch und Englisch haben sie nicht abgelegt. „Superrichkids haben Stress, wir haben Sandwishes, Sandwishes, Sandwishes.“ Zeilen wie diese sind weder sozialkritisch noch zeugen sie von verfeinerter Innerlichkeit. Der knallbunte Pop von Bilderbuch führt in ein Wunderland aus peppigen Assoziationen, widersprüchlichen Aussagen, perfekten Punchlines. „Oh baby, pass auf, du hast Blasen in den Augen, denn du träumst Träume, ja Träume anderer Leute“ heißt es in „Checkpoint“, dem wohl schönsten neuen Song.

Dann pfeifen die Keyboards, quietscht die Gitarre. Sänger Maurice Ernst triumphiert einmal mehr mit seiner markanten Stimme, die zu gleichen Teilen aus Süffisanz und Soulfulness zu bestehen scheint. „Baby pass auf, denn alles an dir glüht, aber dämpf uns noch nicht aus“, warnt er zart resignativ. Für sein finales Flehen strengt er sein Falsett an: „Oh, gib mir das Gefühl, dass ich etwas fühl.“ Zu guter Letzt herrscht Optimismus. „Wir sind nie game over“, jubiliert es in langer, schöner Endlosschleife.

Heute kann man sich kaum vorstellen, dass die 2005 gegründete Band auf ihren beiden ersten Alben recht biederen Indie-Rock gemacht hat. Im Zuge einer Umbesetzung kam es 2013 zur kreativen Explosion, mit dem Song „Maschin“ haben sie alle deutschsprachigen Charts gesprengt. Mit den Alben „Schick Schock“ und „Magic Life“ etablierten sie einen neuen Sound der Inklusion. Sie integrierten Klänge und Haltungen aus verschiedenen Jahrzehnten und Genres. In ihrer Musik kollidieren Klangideen von Prince, Queen und Bootsy Collins aufs Allerfeinste. Bilderbuch kokettieren mit Cloudrap genauso unerschrocken wie mit Schweinerock. Die unzeitgemäße, aber originell eingesetzte Rockgitarre steht im Zentrum ihrer Ästhetik.

Noch besser als ihr wüster Musikmix ist allerdings, dass die Texte unausdeutbar sind. Das Vage, das Mysteriöse lockt jeden Hörer in einen Modus der Empathie. Das führt nicht selten in den Abgrund. Sänger Maurice Ernst perlen dann stets schöne, aber sinnlose Ad-Libs über die Lippen. Einmal bietet er ein „Parapapam Rapapapam Pampapam“ an, dann wieder versucht er mit einem „Sabibabiba-Wu“ zu charmieren. Sinnbefreite Phonetik, die Erholung schafft, bis zum nächsten existenziellen Niederschlag oder einer unerwarteten Euphorie. Dank dieses Kunstgriffs lernen wir, dass das Brausen der Welt gleichzeitig ein Schweigen der Welt ist.

„Du bist auf meiner Memory Card!“

Die Sehnsucht nach Widerhall sucht sich ihre Möglichkeiten in der bunten Warenwelt wie in der verwirrenden, virtuellen Gegenwelt. Ernst benennt jene Kutschen, die in beliebte Paralleluniversen führen: das iPhone X, das „weed“ und der „speed“ und nicht zuletzt die im Pop viel strapazierte Liebe: „Du bist auf meiner Memory Card, 29 und ich brauch deinen Sex. Wo war der Checkpoint? Gib mir ein Reset.“ Am schönsten wird es, wenn sich der Blick der Protagonisten, wie in „Mein Herz bricht“, dramatisch trübt. Dann blickt das imaginäre Auge wie durch eine beschlagene Scheibe auf eine köstliche Mixtur aus Melancholie und Zukunftsglauben. Zum Gitarrengesang sprechsingt Ernst Widersprüchliches: „Angeschossen und o. k. ist die Art, wie ich fühle.“ Kalte Liebe? Heiße Liebe? Harte Liebe? Zarte Liebe?

Egal, Hauptsache schnell. Eine schöne Überraschung sind die sanften Housebeats auf „Lounge 2.0“. Bilderbuch können auch French House à la Etienne de Crecy und Daft Punk. „Du verdienst jetzt richtig Geld, aber nicht genug für diese Welt”, heißt es da. Das könnte ein Hinweis auf die illusionäre Dimension des Materialismus sein, aber genauso gut auch das Gegenteil. Bilderbuch, das ist eben musikgewordene Ambivalenz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2018)

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