Rechtsstaatlichkeit in Polen: Reform im Rückwärtsgang

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Von EU bekämpfte Zwangspensionierung der polnischen Höchstrichter wurde rückgängig gemacht.

Brüssel/Warschau. Rund ein Jahr ist es her, seit die EU-Kommission ein Artikel-7-Verfahren wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit gegen Polen eingeleitet hat. Während das Grundrechteverfahren seit Monaten im Rat steckt, ist es der Brüsseler Behörde gelungen, die nationalpopulistische Regierung in Warschau an einer anderen Front in Bedrängnis zu bringen – nämlich vor dem Europäischen Gerichtshof. Montagabend setzte Staatspräsident Andrzej Duda ein Gesetz in Kraft, mit dem die umstrittene Justizreform der rechtskonservativen Regierung teilweise rückgängig gemacht wird – es geht um die zwangsweise Pensionierung von unliebsamen Richtern des Obersten Gerichts. Wenige Stunden zuvor hatte der EuGH eine Entscheidung bestätigt, wonach Polen die Absenkung der Altersgrenze für Höchstrichter von 70 auf 65 Jahre zurücknehmen muss.

Mit der jüngsten Entscheidung der Luxemburger Höchstrichter ist der Fall allerdings noch nicht vom Tisch, denn das von der Kommission angestrebte Hauptsacheverfahren läuft weiter. Und der Rechtsstreit hat das Zeug dazu, die Bemühungen der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Gerichtsbarkeit des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen, nachhaltig zunichte zu machen. Denn die Luxemburger Richter könnten die Causa dazu nutzen, ein Grundsatzurteil zum Artikel 19 des EU-Vertrags zu fällen, der den Handlungsbereich des EuGH regelt und die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, für „wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ zu sorgen.

Vereinfacht ausgedrückt geht es um die Frage, inwieweit Richter eines Unionsmitglieds auch als EU-Richter zu werten sind. Der EuGH tendiert zu genau dieser Interpretation des Artikels 19. Fällen die Luxemburger Höchstrichter zum ersten Mal ein entsprechendes Urteil, dann wären Regierungen in Polen, Ungarn und anderswo künftig dazu verpflichtet, die Unabhängigkeit der nationalen Justizorgane gemäß den Auflagen des EuGH zu gewährleisten. Der politischen Einflussnahme auf die Landesgerichte wäre damit ein Riegel vorgeschoben.

Die Zwangspensionierung beim Obersten Gericht ist aber nicht die einzige Causa vor dem EuGH. Voraussichtlich im März 2019 wird sich das EU-Höchstgericht mit der Frage beschäftigen, ob der neu gegründete Justizrat, der über die Unabhängigkeit der polnischen Richter wachen soll, EU-rechtskonform ist. (ag./la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2018)

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