In Belgrad regt sich Wut auf Vučić

ehntausende protestierten am Wochenende in der serbischen Hauptstadt Belgrad.
ehntausende protestierten am Wochenende in der serbischen Hauptstadt Belgrad.REUTERS
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Zum Jahresende protestierten zum vierten Mal in Folge Zehntausende gegen politische Gewalt, Korruption und Mediengängelung im faktischen Einparteienstaat.

Belgrad. Trommelschläge läuten die wöchentliche Störung von Serbiens Friedhofsruhe ein. Der Trillerpfeifenchor der Demonstranten steigert sich vor dem Sitz des staatlichen TV-Senders RTS zum Orkan. Da den Demonstranten die Forderung nach fünf Minuten Sendezeit über die Proteste in den Abendnachrichten verwehrt worden sei, beginne nun „fünf Minuten Krach“, verkündet eine Sprecherin auf der fahrbaren Rednerbühne eines vorab rollenden Lkw.

Serbiens marginalisierte Opposition im faktischen Einparteienstaat gibt Lebenszeichen. Zum vierten Mal in Folge haben in Belgrad am Wochenende Zehntausende gegen die politische Gewalt, ausufernde Korruption und die Mediengängelung beim EU-Anwärter demonstriert. Waren es bei der Premiere am 8. Dezember knapp 10.000 Menschen, die über den eisigen Asphalt marschierten, zogen bei der letzten Samstagsdemonstration vor dem Jahresausklang laut Organisatoren bereits 40.000 Regierungskritiker durch das Zentrum.

„Marschiert soviel ihr wollt“

Der allgewaltige Staatschef Aleksandar Vučić zeigt sich genervt – und spielt die Proteste herunter. „Marschiert soviel ihr wollt, ich werde euch keine einzige Forderung erfüllen – auch wenn fünf Millionen von euch kommen sollten“, erklärte der angesäuerte Chef der rechtspopulistischen Regierungspartei SNS schon nach der Protestpremiere. „Einer von fünf Millionen“ verkünden seitdem spöttelnd die Protestplakate.

Unter dem Motto „Stoppt die blutigen Hemden“ hatten nach der Attacke gegen den Oppositionspolitiker Borko Stefanović die Proteste begonnen: Maskierte Schläger hatten dem Chef der „Linken Serbiens“ Ende November vor einer Kundgebung in der Stadt Kruševac aufgelauert und ihn mit Metallstangen krankenhausreif geprügelt.

„Vučić, du Dieb“, skandieren die am Präsidentenpalast vorbei flanierenden Demonstranten im Belgrader Festtagsschein: Die in vier Jahren um das 100-Fache gestiegenen Ausgaben für die Neujahrsbeleuchtung in der Hauptstadt ist für Regierungskritiker ein tristes Sinnbild für die grassierende Vetternwirtschaft im SNS-Staat.

Seit die von der ultranationalistischen SRS abgespaltene SNS vor sechs Jahren das Regierungsruder übernommen hat, wird ihr machtbewusster Vormann Vučić im Westen als proeuropäischer Hoffnungsträger für den anvisierten Ausgleich mit dem Kosovo verhätschelt: Schon 2013 wurde die SNS mit Unterstützung der deutschen CDU in den EVP-Verband von Europas christdemokratischen Schwesterparteien aufgenommen.

Doch der von Brüssel erhoffte Ausgleich mit dem Kosovo ist nicht in Sicht. Um Demokratie, Pressefreiheit und Gewaltenteilung ist es beim EU-Anwärter Serbien immer schlechter bestellt. Statt des von der EU geforderten Rückzugs des Staates nimmt die Regierungspartei nach ungarischem Vorbild die Medien und Justiz immer stärker in ihren Griff. Selbst bei Haushaltsdebatten im Parlament kommt die Opposition kaum mehr zu Wort: Mit hunderten unsinniger Ergänzungsanträge zu den eigenen Gesetzesvorhaben pflegt die SNS die Opposition vom Rednerpult fernzuhalten.

Noch liegt Vučić in den Umfragen einsam vorn – und triumphiert seine SNS auch dank ihrer Medienmacht bei jeder Nachwahl. Doch die Unzufriedenheit über den Liebhaber des Selbstlobs und der vollmundigen Versprechen nimmt nicht nur in der Hauptstadt zu. Der vom Präsidenten immer wieder angekündigte Aufbruch in bessere Zeiten ist ausgeblieben. Stattdessen verlassen jährlich zehntausende junge Serben ernüchtert das Land.

„Wir sind viele und wir werden noch mehr sein“, kündigt indes Schauspieler Branislav Trifunović die Fortsetzung der Proteste im neuen Jahr an: „Denn unsere Wut wird immer größer.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2018)

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