Warum macht die Bierhefe Bier? Um ihre Zellen zu schützen!

Warum macht die Bierhefe Bier?
Warum macht die Bierhefe Bier? imago/Ralph Peters
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Es wäre effizienter für Hefezellen, den Zucker vollständig zu oxidieren. Dass sie dies oft nicht tun, liege daran, dass das ihre Strukturen zu sehr erschüttern kann, meinen Forscher in Groningen. Das würde auch eine Eigenart der Krebszellen erklären, die diese verletzlich macht.

Warum tun manche Sorten von Hefe uns – oder zumindest den Wein- und Bierfreunden unter uns – den Gefallen, Zucker in Ethanol (also den Stoff, den man im Alltag schlicht Alkohol nennt) zu verwandeln? Warum machen sie nicht lieber gleich Kohlendioxid und Wasser daraus, das würde doch viel mehr Energie bringen?

Die Antwort der Schulweisheit ist: Sie tun das unter anaeroben Bedingungen, also dann, wenn zu wenig Sauerstoff zur Verfügung steht. Das ist eine logische, aber nicht ausreichende Erklärung. Denn Hefezellen – aber auch andere Zellen – entscheiden sich auch unter aeroben Bedingungen oft für die unvollständige Oxidation, die gern Gärung genannt wird – im Gegensatz zur vollständigen Oxidation, die man, je nach den Umständen, Verbrennung oder Atmung nennen kann. (Auch wir erzeugen ja ständig H2O und CO2 und atmen sie aus.)

Vertreter eines Schöpfungsplans werden nun vielleicht argumentieren, dass es eben die ureigene Bestimmung der Bierhefe sei, Bier zu machen. Strenge Biologen geben sich damit nicht zufrieden. Etwa Matthias Heinemann an der Universität von Groningen (Niederlande): „Ein Molekül aus sechs Kohlenstoffatomen in drei Moleküle aus je zwei Kohlenstoffen statt zu Kohlendioxid zu verwandeln bedeutet, dass ein Teil der Energie, die in der Glucose gespeichert ist, verloren geht“, sagt er. „Das ergibt keinen Sinn.“ Die Evolution müsste eine solche Verschwendung der Ressourcen abstellen.

Erwin Schrödingers Sicht des Lebens

In diesem Sinn bastelten Heinemann und Kollegen, basierend auf bereits publizierten Messungen, ein Modell dafür, wie die Energie, die in den Hefezellen erzeugt wird, von der Glucose-Aufnahme abhängt. Genauer gesagt: Sie verwendeten eine bestimmte Art von Energie, die Gibbs-Energie, die auch die Entropie enthält. Ihr Befund: Die Gibbs-Energie wächst mit der aufgenommenen Menge an Glucose – aber nur bis zu einem bestimmten Wert. Dann bleibt sie konstant – und die Gärung, die Erzeugung von Ethanol, beginnt. Sie ist, meint Heinemann, so etwas wie ein Sicherheitsventil der Zellen, um zu vermeiden, dass zu viel Gibbs-Energie auf einmal entsteht. Heinemann zitiert dazu in Nature Metabolism (7. 1.)den österreichischen Physiker Erwin Schrödinger, der in seinem Buch „What Is Life?“ (1944) als zentrale Aufgabe jedes lebendigen Organismus nannte, dass dieser die Entropie loswerden muss, die er notwendigerweise ständig produziert. Das sei eben, so Heinemann, nur bis zu einem gewissen Limit möglich.

Dabei sei es weniger Wärme – also ungerichtete Bewegung der Moleküle –, die der Zelle schaden kann, als Energie in Form von Arbeit, meint Heinemann: sinnlose mechanische Arbeit, die die Enzyme leisten, einfach weil sie bei jeder chemischen Reaktion einen kleinen Stoß erfahren. Diese nicht thermische Bewegung sei es, die wichtige Vorgänge in der Zelle gefährde. Darum produzieren Hefestämme, die nur langsam Glucose aufnehmen, kein Ethanol: Sie haben dieses Sicherheitsventil nicht notwendig.

Krebszellen erzeugen Milchsäure

Wenn diese Erklärung stimmt, dann sollte sie auch auf gärungsähnliche Stoffwechselvorgänge in anderen Zellen passen. Etwa auf Krebszellen: Sie erzeugen typischerweise Milchsäure. Auch das ist eigentlich eine Energieverschwendung, und auch das lässt sich dadurch erklären, dass die Krebszellen so schnell wachsen und arbeiten, dass sie auf Gärung umsteigen müssen, um nicht durch zu viel Bewegung beschädigt zu werden. Tatsächlich werden bereits Stoffe, die die Milchsäureproduktion hemmen, als potenzielle Krebsmedikamente getestet: Sie funktionieren offenbar, indem sie den Krebszellen die Sicherheitsventile ausschalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2019)

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