Vielleicht sollten wir alle einfach ein bisschen länger schlafen

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Sehr, sehr früh haben Bundesregierung und ihre wahre Opposition den Wahlkampf um Wien begonnen. Und dabei eine wichtige Frage aufgeworfen.

Die Mischung aus österreichischer Neidkultur und innenpolitischem Volkstheater rückt in schöner Regelmäßigkeit das Langschläfer-Thema und andere vermeintliche Vorteile der komplexen Work-Life-Balance in der sozialen oder beruflichen Hängematte ins Zentrum der Aufregung. Sebastian Kurz hat also laut Meinung des Linkslagers schon wieder seinen ersten wirklich schweren Fehler begangen, indem er zwecks Verteidigung der geplanten Neuregelung der Mindestsicherung und als Angriff auf das in dieser Frage renitente Wien wie folgt formuliert hat: In der roten Kapitale müssten in nicht wenigen (Mindestsicherungsbezieher-)Familien in der Früh nur die Kinder aufstehen, die in die Schulen gingen. Dieses Bild sorgte für eine Welle der Empörung, auf der nicht nur Wiens Twitter-Vizefraktionsführer aus dem „Falter“ reitet. Selbst wenn es für die Kurz-Aussage Beispiele gibt, wie in Schulen aus Berichten mancher Kinder bestätigt werden kann, ist sie unglücklich und trägt nicht gerade zum Zusammenhalt unserer inhomogener werdenden Gesellschaft bei.

Das Bild ist nicht neu. Michael Spindelegger nannte die ÖVP „Partei für all jene, die in der Früh aufstehen, hart arbeiten und am Monatsende etwas davon haben wollen“. Und Christian Kern sagte einst über seine SPÖ-Probleme: „Bei unserer Klientel ist teilweise der Eindruck entstanden, dass wir früher für jene da waren, die um sechs Uhr früh arbeiten gehen – und jetzt nur noch für jene da sind, die um sechs Uhr früh ihr erstes Bier öffnen.“ Und im Wahlkampf wandte er sich höchstselbst in einem Radiospot ebenso früh an alle jene, die seiner Meinung nach auf dem Weg zur Arbeit waren und die sich wie er über die ärgerten, die keine Steuern zahlten und noch schliefen. Er meinte andere Langschläfer als Kurz.

Mit der Langschläfer-Episode, oder besser: mit dem Wiener Njet zur angedachten teilweisen Kürzung und generellen Vereinheitlichung der Mindestsicherung hat der Kampf um die wichtigste innenpolitische Wahl begonnen – jene um Wien 2020. Dass Sozialstadtrat Peter Hacker in bemerkenswerter innig-einiger Pose mit der neuen Grünen-Chefin, Birgit Hebein, den Widerstand der Wiener verkündet hat, zeigt: Rot-Grün ist in Wien keineswegs am Ende. Der unter Michael Ludwig eingesetzte leichte Schwenk in Richtung Mitte-rechts bei manchen Themen (Vergabe von Gemeindebauwohnungen, Sicherheitsthemen bzw. Verbotsideen von Alkohol bis Pizza) ist abgeschlossen, nun wird wieder zart links geblinkt. Damit geht auch der höfliche Diskurs zwischen Kurz und Ludwig seinem Ende zu. Dieser hat mit dem Auftritt seines Basishelden Hacker signalisiert, wo die einzig wahre Oppositionsmacht sitzt: im Wiener Rathaus. Der Abwehrkampf der Wiener ist zwar auch symbolisch, mit einem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs, den die Regierung wohl anrufen wird, würde die Regelung irgendwann auch in Wien gültig sein. Bis dahin wird der österreichweit größte Anteil von Mindestsicherungsbeziehern in Wien noch größer werden, in den anderen Ländern wird (oder ist) der Bezug dieser Sozialleistungen schwieriger und/oder geringer aus(ge)fallen.

Die Wiener SPÖ stellt ihren Wählern mit dieser Aktion eine entscheidende Frage, deren Antwort alle sozialdemokratischen Parteien Europas interessieren sollte. Gelten die alten Ziele der Sozialdemokratie, die Umverteilung von oben nach unten, die Absicherung sozial Schwacher nun auch für die „neuen“ sozial Schwachen? Das sind Flüchtlinge und ausländische Erwerbstätige, die zusammen einen großen Anteil der Mindestsicherungsbezieher ausmachen. Die SPÖ scheint ihre Verantwortung für diese Gruppen (wieder) zu entdecken.

Michael Häupl hat die vergangene Wien-Wahl mit seinem Eintreten für die offene Aufnahme von Flüchtlingen zumindest nicht verloren. Die Bundesparteichefs schwenkten später auf eine restriktivere Linie. Dieser neue politische Konflikt zwischen Wien und Bund wird auch entscheiden, in welche Richtung die Reise der Sozialdemokratie geht.

Zur eingangs angeführten aufgeregten Langschläfer-Episode sei hingegen genau das empfohlen: ausschlafen.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Anmerkung: Im Text stand, dass auch Asylwerber zu der größten Gruppe der Mindestsicherungsbezieher gehören würden. Das wurde korrigiert. Asylwerber beziehen eine Grundsicherung - erst wenn sie einen positiven Status erhalten, sind sie berechtigt, Mindestsicherung zu kassieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2019)

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