Deutschland und Frankreich, eine Freundschaft per Vertrag

Angela Merkel and Emmanuel Macron zelebrieren in Aachen die Freundschaft der beiden Länder und unterzeichnen einen neuen Vertrag.
Angela Merkel and Emmanuel Macron zelebrieren in Aachen die Freundschaft der beiden Länder und unterzeichnen einen neuen Vertrag.REUTERS
  • Drucken

Merkel und Macron besiegelten im sogenannten Aachener Abkommen eine enge Zusammenarbeit der beiden Länder. Man will sich auch für eine gemeinsame Sicherheitspolitik einsetzen.

Genau 56 Jahre nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrages haben Deutschland und Frankreich einen neuen Freundschaftspakt besiegelt. Im Krönungssaal des historischen Aachener Rathauses setzten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron am Dienstag ihre Unterschriften unter den neuen deutsch-französischen Vertrag.

Der Freundschaftsvertrag sei eine gemeinsame Antwort auf erstarkenden Populismus und Nationalismus, sagte Merkel. Weltweit gerate der Multilateralismus unter Druck, 74 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs werde "scheinbar Selbstverständliches" wieder in Frage gestellt. Daher bedürfe es einer "Neubegründung unserer Verantwortung innerhalb der EU", so Merkel bei der feierlichen Unterzeichnung.

Macron hob hervor, Europa müsse "der Schutzschild unserer Völker gegen die neuen Stürme in der Welt" sein. Der französische Präsident beklagte die Bedrohung Europas durch Nationalismus. Es gebe keinen europäischen Erfolg durch Abschottung oder Alleingänge. Die deutsch-französische Freundschaft, die gemeinsamen Projekte und Ziele machten es möglich, "unser Leben in die eigene Hand zu nehmen, unser Schicksal frei aufzubauen", fügte er hinzu.

(c) APA

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

Das Dokument legt fest, dass Deutschland und Frankreich ihre Zusammenarbeit unter anderem in der Europapolitik verstärken und sich für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik einsetzen wollen. Auch die ökonomische Integration der beiden Volkswirtschaften soll vertieft werden.

Am 22. Jänner 1963 hatten in Paris der damalige Kanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle den ersten Vertrag unterzeichnet. Damit wurden die früheren Weltkriegs-Feinde die wichtigsten Partner in Europa.

Merkel nannte die grenznahen Regionen "Vorreiter" bei der Entwicklung neuer Wege der Zusammenarbeit. Frankreich und Deutschland müssten "Taktgeber" in den Zukunftsbereichen sein, die den Wohlstand der EU sicherten, mahnte die Kanzlerin. Entscheidend sei aber der Wille, den neuen Vertrag mit Leben zu füllen. Im Namen der deutschen Regierung verpflichte sie sich dazu, dies "mit voller Kraft und ganzem Herzen" zu tun.

Merkel betonte, beide Länder wollten auch eine gemeinsame militärische Kultur und Verteidigungsindustrie sowie eine gemeinsame Linie zu Rüstungsexporten entwickeln. "Damit wollen wir unseren Beitrag leisten zur Entstehung einer europäischen Armee."

Gegenseitiges Lob

Der französische Staatschef würdigte das Engagement Merkels: "Sie steht stets an der Seite Frankreichs." Scharf kritisierte Macron jene, "die den Wert der deutsch-französischen Aussöhnung vergessen", die "unsere Geschichte verzerren oder Lügen verbreiten". Macron gab ein flammendes Bekenntnis zur Zusammenarbeit in Europa ab: "Unser Europa ist ein neuer demokratischer Wind, das feiern wir heute hier."

Macron betonte, die Liebe zur Heimat und die europäische Integration seien keine Widersprüche. "Wir lieben unsere Vaterländer", sagte er, "aber wir lieben auch Europa". Es gehe nicht um den Traum von einem neuen Imperium, sondern um ein demokratisches Projekt. Deutschland und Frankreich müssten ihre Verantwortung für Europa wahrnehmen.

Auch aus der deutschen Industrie kam Zustimmung zum neuen Vertrag. Allerdings müssten dem auch "konkrete Schritte folgen", vor allem im Bereich Digitalisierung, forderte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßte den neuen Freundschaftsvertrag ebenso wie EU-Ratspräsident Donald Tusk, der in einer Rede in Aaachen gleichzeitig betont, die verstärkte Zusammenarbeit einzelner Länder dürfe nicht die gesamteuropäische Kooperation ersetzen.

Engere Freundschaft für mehrere Länder?

Der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis (Iohannis) rief Deutschland und Frankreich dazu auf, ihre enge Zusammenarbeit für andere EU-Staaten zu öffnen. "Dies ist der beste Weg, um die Einheit und den Zusammenhalt der Mitgliedsstaaten zu stärken", sagte er bei der Unterzeichnung des Freundschaftspakts.

Am Rande der Unterzeichnung gab es in Aachen Proteste der "Gelbwesten": Rund 120 Demonstranten versammelten sich in Sichtweite des Aachener Rathauses - sie forderten etwa billigere Mieten und mehr soziale Gerechtigkeit. Nach Angaben der Polizei handelte es sich in der Mehrzahl um deutsche Staatsbürger.

Kritik aus Tschechien

Und auch eine prominente kritische Stimme war zu hören, wenn auch von einem Ex-Politiker. Der tschechische Altpräsident Václav Klaus hat den neuen Freundschaftsvertrag ungewöhnlich scharf kritisiert. Klaus sprach in einem am Dienstag auf den Seiten seines Büros veröffentlichten Kommentar von einem "Geheimvertrag über den faktischen Zusammenschluss Frankreichs und Deutschlands". Er kritisierte, dass die Bürger dazu nicht befragt worden seien.

Weder Deutschland noch Frankreich sei es gelungen, Europa zu beherrschen, auch wenn sich Hitler und Napoleon darum bemüht hätten, schrieb der 77-Jährige. "Wird es Frankodeutschland gelingen?", fügte er hinzu. Nach Ansicht des Ex-Präsidenten ist zu befürchte, dass ein "paralleles Integrationsprojekt" zur EU entsteht, ein neuer "Superstaat", in dem auf Bremser keine Rücksicht mehr genommen werden müsse.

Pläne für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin im Bereich der Verteidigung bezeichnete Klaus als beunruhigend. Dazu merkte er an: "Wer gilt als innerer Feind? Alle diejenigen, die Macrons und Merkels Definition europäischer Werte nicht teilen?"

Klaus war von 2003 bis 2013 tschechisches Staatsoberhaupt. Er war zuletzt wiederholt als Kritiker de EU und der deutschen Flüchtlingspolitik in Erscheinung getreten.

(APA/dpa/AFP)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.