Entsteht Schizophrenie aus überaktiven Immunzellen im Hirn?

 Harvard Medical School
Harvard Medical School(c) imago stock&people
  • Drucken

Mikroglia kämpfen nicht nur gegen Erreger und entsorgen zellulären Müll, sie knabbern auch in der Pubertät gezielt Synapsen weg. Forscher der Harvard Medical School haben nun Indizien dafür, dass bei Schizophrenie diese Schrumpfung der grauen Substanz übers Ziel schießt.

111 Jahre ist es her, dass der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler den Begriff Schizophrenie eingeführt hat, und noch immer kennen wir die Ursachen dieser unheimlichen Geisteskrankheit nicht. Die These, dass sie durchs familiäre Milieu ausgelöst werde, etwa von einer „schizophrenogenen Mutter“, hat viel unnötiges Leid gebracht und ist überholt. Also die Gene? Gewiss, beim Durchkämmen der DNA hat man viele Orte gefunden, wo bei Schizophrenen die eine oder andere Variante etwas häufiger auftritt. Aber die Korrelationen sind schwach.

Entzündliche Prozesse spielen bei Schizophrenie eine Rolle. Manche haben bereits vermutet, dass sie – wie Arteriosklerose oder Schuppenflechte – eine Autoimmunkrankheit sei, in der das Immunsystem gegen eigene statt gegen fremde Zellen kämpft, diesfalls eben gegen Hirnzellen. Tatsächlich ist im Hirn von Schizophrenen eine spezielle Art von Immunzellen aktiver: Mikroglia, die im Gehirn Erreger bekämpfen und Abfallstoffe beseitigen. Es wäre aber auch denkbar, dass diese Aktivität nicht die Ursache ist, sondern eine Reaktion auf die Krankheit, etwa auf Erreger wie den Katzenparasiten Toxoplasma gondii, der bereits mit Geisteskrankheiten in Verbindung gebracht wurde.

Psychiater um Roy Perlis (Harvard Medical School) verfolgen eine andere Spur: Mikroglia spielen auch eine Rolle in der Entwicklung des Hirns. In der Pubertät nämlich. Da knabbern sie überflüssige Synapsen, Verbindungen zwischen Nervenzellen, weg. Diese Eliminierung von Synapsen – die die graue Substanz deutlich schrumpfen lässt – ist wichtig für die Reifung des Hirns, gezielt und in Maßen natürlich. Nun bricht Schizophrenie oft in der Pubertät aus. Könnte es sein, fragten sich die Harvard-Forscher, dass die Mikroglia in Schizophrenen übers Ziel schießen? Dass sie zu viele Synapsen anknabbern? Studien an Mäusen sprechen dafür. Aber die Unterschiede im Hirn zwischen Menschen und Mäusen sind doch groß.

Also arbeiteten die Forscher mit Kulturen menschlicher Zellen, mit solchen aus Synapsen und solchen von Mikroglia (Nature Neuroscience, 4. 2.). Diese beiden Typen brachten sie im Reagenzglas zusammen, und es zeigte sich: Wenn beide von Schizophrenen stammten, dann fraßen die Mikroglia die Synapsenzellen am schnellsten. Wenn beide von Kontrollpersonen stammten, dann am langsamsten. Offenbar beschleunigen bei Schizophrenen sowohl Faktoren in den Mikroglia als auch in den Synapsen selbst die Eliminierung von Synapsen.

Ein Antibiotikum schützt Synapsen

Dafür spricht auch, dass eines der Gene, von dem es Varianten gibt, die mit dem Auftreten von Schizophrenie korrelieren, genau diese Arbeit der Immunzellen beeinflusst.

Und es gibt ein Antibiotikum, das auch gegen neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson hilft: Minocyclin. Wenn die Forscher die Mikroglia-Kulturen damit behandelten, bevor sie sie auf Synapsen-Kulturen losließen, verhielten sie sich umso weniger aggressiv, je höher die Minocyclin-Dosis war. Kann Minocyclin also der Eliminierung von Synapsen und damit der Schizophrenie entgegenwirken? Dafür spricht ein epidemiologischer Befund: An Menschen, die in ihrer Jugend mit Minocyclin behandelt wurden, etwa gegen Akne, wurden später seltener psychotische Erkrankungen diagnostiziert.

Vor Kurzem ist eine ganz andere Arbeit über die gezielte Eliminierung von Synapsen erschienen: Auch seltener Konsum von Marihuana in der Pubertät störe diese, schlossen Forscher des EU-Projekts „Imagen“ aus Messungen der grauen Substanz. Wenn das wahr ist, könnte dann nicht Kiffen der Schizophrenie entgegenwirken? Gegen diesen Schluss spricht die Erfahrung, dass bewusstseinsverändernde Drogen den Ausbruch von Schizophrenie fördern können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.