Osterinsel: Die Insel des Vogelmanns

Osterinsel Insel Vogelmanns
Osterinsel Insel Vogelmanns(c) AP
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Wahrer Luxus ist, ganz weit weg zu sein. Am besten auf der Osterinsel, dem entlegensten – und von den Göttern verlassenen – Ort der Welt. Die ist seit Neuestem nämlich auch eine Luxusadresse.

Ganz weit weg wollten wir. Raus aus dem Alltag, raus aus dem Handynetz. Am besten ans Ende der Welt – aber wo liegt das eigentlich genau?

(c) Admetlla

TIPPS

Wir haben es nicht herausgefunden.

Der entlegenste Ort der Welt jedoch ist geografisch verbürgt: Er heißt „Te pito o te henua“, der Nabel der Welt. Andere nennen das Eiland im Südpazifik „Rapa Nui“ oder schlicht die Osterinsel. Als Ort der Entspannung galt sie bislang zwar nicht, denn es fehlte das richtige Hotel für Genießer. Das hat sich jetzt endlich geändert.
Die Anreise fühlt sich so an, als würde man hinaussegeln über den Rand der Erdscheibe. Von Santiago de Chile aus jagt das Flugzeug 4000 Kilometer der untergehenden Sonne nach. Unter uns kräuselt sich die weiteste Leere des Planeten.

Die nächsten Nachbarn der Osterinsel sind die Nachfahren der „Meuterei auf der Bounty“ auf der 2000 Kilometer entfernten, noch kleineren Insel Pitcairn. Die polynesischen Marquesas, von denen aus die Osterinsel besiedelt wurde, verstecken sich 4000 Kilometer weit weg im blauen Ozean.  Der weltvergessene Fleck ist einer der letzten Orte, den die Europäer auf dieser Erde entdeckt haben. Erst zu Ostern 1722 stieß ein holländisches Schiff auf das Eiland mit den rätselhaften Steinriesen. Weiter als hier hat noch niemand den Alltag hinter sich gelassen – es sei denn, er ist in den Weltraum geflogen. Fünf Stunden lang steht unsere Boeing 767 im blauen Nichts, scheinbar bewegungslos. Nirgendwo ein Referenzpunkt. Dann ein Fetzen Grün, gerade mal so groß wie die Fläche von Graz. Dreieckig, mit kahlen, grasigen Hügeln und von einigen Kratern übersät.

Die sauberste Luft der Welt. Der Flughafen ist eine Piste mit einem hölzernen Bungalow. Zur Begrüßung bekommen wir eine polynesische Blumenkette, dann geht es runter zum Hafen von Hanga Roa, der einzigen Siedlung auf der Insel. Wir suchen Mike Rapu, unseren Gastgeber. Seine „Posada Mike Rapu“ ist das erste Luxushotel am Nabel der Welt.

Wir halten vor Rapus Tauchbasis an der Hafenlagune. Vor seiner Karriere als Hotelier hat sich Rapu einen Namen als Chiles bester Taucher gemacht, er tauchte 71 Meter tief – ohne Atemgerät. Auch jetzt ist er unter Wasser, sodass wir an der Mole entlangspazieren und zum ersten Mal die Brise von Rapa Nui einatmen, die sauberste Luft der Welt. Links liegen sattgrüne Wiesen, in der Ferne dichte Haine. Schwarzer Vulkanstein markiert das Ufer, und rechts rollt stahlblau das Meer heran. Eine Handvoll Surfer reitet die Wellen, Neoprenanzüge braucht hier niemand. Dann stehen wir plötzlich vor ihnen, aus hohlen Augen blicken sie uns an:Diedie „Moais“ der Osterinsel, blinde Wächter am Rande der Erdscheibe. Der linke Steingigant ist nur mehr ein Stumpf, der rechte steht auf einem modernen Sockel und schaut aufs Meer, der mittlere jedoch thront majestätisch auf seinem grasbewachsenen Altar aus schwarzem Lavagestein. Porös, erodiert und doch gewaltig, die linke Kopfhälfte zersplittert, steht er still im Wind. Während die pazifischen Wolken über den felsigen Riesen hinwegfegen, scheint er langsam auf uns kleine Betrachter zu kippen.

„Hola! Da seid ihr ja!“ Eine kräftige Männerstimme reißt uns aus unseren Träumen. Mike Rapu ist ein stämmiger Polynesier mit kurzen schwarzen Haaren und einem Hemd voll gelber Hibiskusblüten. Kernig schüttelt uns der Mittvierziger die Hand und verlädt uns in seinen Geländewagen. „Ihr werdet sehen“, sagt Rapu. Sein Hotel sei ein Ort für Leute, die schon alles erlebt haben: „Denen wollen wir etwas geben, was man nicht mit Geld kaufen kann.“

Rapus chilenischer Partner „Explora“ hat dazu das passende Rezept: Luxus trifft auf Abenteuer am Ende der Welt. In Patagonien und der Atacama-Wüste funktioniert das Konzept bereits seit Jahren: Explora trägt den modernen Mensch an seine Grenzen, wo er in Konfrontation mit der Natur auf sein Normalmaß zurückgestutzt wird. Im heimeligen Hotel soll es ihm nicht an Bequemlichkeit fehlen, als Reisender aber soll er sich nicht wie ein Pascha fühlen, sondern wie ein Entdecker.
So wie der deutsche Korporal Carl Friedrich Behrens, der die Insel vor fast 300 Jahren als erster Europäer betreten hat. Wie muss er sich gefühlt haben, als er die „Götzen“
bemerkt hat, die in Mengen an den Küsten standen?
„Diese Bildsäulen waren alle von Steinen in Menschengestalt mit großen Ohren“, berichtete Behrens: „Der Kopf war mit einer Krone gezieret.“

Fast drei Jahrhunderte später sind es noch immer die mystischen Menschenbilder, die uns auf die Insel hinter dem Horizont locken. Wer stellte diese Statuen, im Schnitt fünf Meter hoch und zwölf Tonnen schwer, einst auf? Wie konnten sie über Entfernungen von bis zu 18 km vom Steinbruch zur Küste transportiert werden? Was bedeuteten sie, und warum begannen die Ureinwohner irgendwann damit, sie umzustürzen?

Mythen, Geschichten, Theorien. Jeder Quadratmeter der winzigen Insel steckt voller Mythen. Als Rapu das Land seiner Vorfahren für das neue „Explora“ planieren ließ, stieß er auf verschüttete Höhlen mit Felszeichnungen. Andere Bauherren hätten geflucht, der geborene Rapanui jedoch änderte die Baupläne, um Ausgrabungen zu ermöglichen. „Wir wollen die Landschaft nicht verändern“, betont Rapu. Die geschwungenen Formen des 30-Zimmer-Hauses verschmelzen mit dem Hang, alles sei aus Holz und Vulkanstein.

Die Philosophie der entlegenen Explora-Häuser ist die Hochachtung vor der Natur: Whirlpool ja, Müllreste nein. An dem kleinen Pool erfrischen sich beizeiten wilde Pferde. Selbst das Gebäude könne jederzeit rückstandslos wieder abgerissen werden, sagt Rapu. Drinnen kein TV, keine iPod-Stationen, nur Panoramafenster zur See. Nichts soll den Reisenden von der Inselmystik ablenken.
Entspannen und entdecken bedeutet bei Explora vor allem: wandern. Neun Exkursionen bietet Rapu an. Welche die richtige ist, entscheiden Reisende und Führer gemeinsam bei einem guten Wein. So schnüren wir tags darauf die Stiefel für die „Moai-Route“. Archäologen haben auf der Insel 702 Statuen gezählt und ein Netz alter Wege aufgespürt, die nur zu einem Zweck angelegt wurden: zum Transport der steinernen Kolosse.

Einst symbolisierten sie verstorbene Häuptlinge. Von hohen Altären aus wachten sie über ihren Stamm und schauten deshalb nie aufs Meer. Wie sie jedoch dorthingebracht wurden, bleibt bis heute rätselhaft. Manche Rapanui meinen, sie seien selbst gelaufen, vielleicht wurden sie also aufrecht zum Strand gekippelt. Oder sie wurden auf Baumstämmen gerollt, was den amerikanischen Geografen Jared Diamond zu einer Theorie inspiriert hat: Im Wettstreit um den größten Giganten holzten die Ureinwohner ihre Insel ab. Damit lösten sie eine ökologische Katastrophe aus, die in einem kannibalischen Bürgerkrieg endete. Ungefähr so wie in Kevin Costners Ethno-Epos „Rapa Nui“.

Die Route der Moais. Heute besteht die geheimnisvolle Route der Moais nur noch aus Geröll. In unregelmäßigen Abständen säumen gestürzte Moais den Weg. Der größte von ihnen, über 21 Meter lang und 170 Tonnen schwer, liegt am Fuß eines zersprungenen Vulkankraters. Hier am Rano Raraku treffen sich die alten Wege, hier haben sich alle Moais aus dem Stein erhoben. Und hier stehen und liegen noch immer 397 Kolosse, manche noch mit dem Berg verwachsen, manche halb aufgerichtet, andere stehend, mit ernster, würdevoller Miene. Ein unheimliches, ein unwirkliches Schauspiel.

Es ist, als erwache der ganze Berg zum Leben. Und doch wirkt alles so, als hätten die Steinmetze ihre Arbeit erst neulich verlassen, schlagartig und endgültig. Sogar ihre Werkzeuge ließen sie liegen, wie die Archäologen später herausgefunden haben. Etwas Schreckliches muss geschehen sein. Vielleicht eine Naturkatastrophe. Oder ein Krieg. Legenden erzählen von einem Kampf der Langohren gegen die Kurzohren. Dem Bau von Moais aber haben die Rapanui ihre letzten Bäume wohl nicht geopfert.
Der Ökokollaps ihrer Insel dürfte viel prosaischere Gründe gehabt haben: Überbevölkerung, Klimawandel, die Vernachlässigung der traditionellen Landwirtschaft und eine eingeschleppte Rattenplage. Am Ende wuchs das Verlangen, die verfluchte Insel zu verlassen: Auf den Bauch eines Moai am Krater gravierten die Bildhauer das Abbild eines europäischen Schiffes, gezogen von einer Schildkröte.

„Über das Ende der Moais gibt es nur eine Legende“, erzählt die Schriftstellerin Stephanie Pauly. Seit 1996 lebt die Deutsche auf der Insel, gemeinsam mit ihrem einheimischen Mann Karlo Huke Atán. Die Legende erzählt, dass eine Frau für die Männer im Steinbruch kochte. Eines Tages wollte sie etwas ganz Besonderes servieren, eine Languste. Als das Festmahl fertig war, verschwand die Frau für kurze Zeit. Die Steinmetze jedoch wollten nicht warten mit dem Essen und schlangen alles restlos hinunter. Als die Frau zurückkam, verfluchte sie die Männer: „Keiner eurer Moais soll stehen bleiben!“ Eine Parabel auf den Raubbau an der Natur?

Krieg, Vater aller Dinge. Pauly lässt die Legende lieber für sich sprechen, nur eines sei sicher: Es herrschte Krieg, die Stämme stießen die Moais ihrer Feinde von den Sockeln, selbst der König stürzte. „Die Menschen hofften, dass Tangata Manu, der Vogelmann, all dem ein Ende setzen würde“, erzählt Pauly.

Wie ein Heiland erstand dieser Friedensbringer aus dem blutigen Chaos: Ein neuer Herrscher – aber immer nur für ein Jahr. Der neue Glaube, der die Anarchie bändigen sollte, brauchte ein Zuhause und fand es auf einem weiteren Vulkan. Hinter dem Krater des Rano Kau, 300 Meter über der Unendlichkeit des Meeres, krallt sich das Zeremoniendorf Orongo an den brüchigen Felsen.
Ehrfürchtig schreiten wir auf roter Erde durch gelbe Blumenwiesen. So wie einst die Männer, die entscheiden würden, wer der neue Vogelmann wird: die Hopu Manus. Jeder Stamm entsandte einen trainierten, tätowierten Gladiator, der für seinen Häuptling um die Krone kämpfen würde.

Jungfrauen zur Auswahl. Der Krater öffnet sich wie ein Amphitheater. Seine seeseitige Wand ist eingestürzt und bietet einen atemberaubenden Blick aufs Meer. Auf dem Grat schlängelt sich der Pfad nach Orongo, wo 53 niedrige Steinhütten stehen. Hier rasteten in jedem Frühling die Priester und Häuptlinge, und hier mussten die Wettkämpfer hinabklettern, um sich ins Wasser zu lassen. Dann schwammen sie zwei Kilometer hinaus zu den vorgelagerten Inselchen, deren Felsen wie Haifischflossen aus dem unendlichen Blau ragen. Sieger wurde, wer die Haifische überlebte und die Strömungen, und dann als Erster das unbeschädigte Ei der Rußseeschwalbe brachte, das Symbol des neuen Gottes Make Make. Der Hopu war nun heilig, seine Hand tabu. Sein Häuptling aber konnte noch an Ort und Stelle seine Braut aussuchen. Eine Reihe „weißer Jungfrauen“, die ihr Leben zuvor in einer Höhle verbringen mussten, stellte sich dazu mit gespreizten Beinen auf zwei Felsen. So konnte der Vogelmann die fruchtbarste unter ihnen auswählen.

Nabel der Welt. Fassungslos streichen unsere Hände über die Reliefs stilisierter Schamlippen und Vogelmänner. Tausende dieser Petroglyphen schmücken die Felsen von Orongo, gut sichtbar, denn der letzte Vogelmann wurde erst im Jahr 1866 gekrönt. Zu diesem Zeitpunkt hatten Menschenjäger vom Kontinent tausende Rapanui in die Sklaverei entführt, sodass es der katholischen Kirche nicht mehr schwerfiel, den Ureinwohnern ihre heidnischen Traditionen auszutreiben.

Wir wollten ans Ende der Welt. Doch während wir von Orongo hinausstarren auf die Unermesslichkeit der Wellen, wird uns bewusst, dass die Bewohner ihren „Nabel der Welt“ irgendwann nur noch verlassen wollten. In den
Moai hatten sie ein Schiff graviert, und weil sie kein Holz mehr hatten, eines zu bauen, erstellten sie ein Schiff aus Stein. Ein Abbild, ein Idol. Doch Make Make schickte ihnen keine Arche. Die Reste ihrer kultischen Barke blieben liegen. Heute wuchert Gras darüber, genau an dem Ort, wohin es heute die Sehnsuchtsreisenden zieht – ein paar hundert Meter hinter dem neuen „Explora“-Hotel.

Unterkunft
"Posada Mike" – Explora Rapa Nui, www.explora.com

Führungen
Explora bietet neun Wanderungen und eine Radtour. Individuelle Führungen bietet die Deutsche Stephanie Pauly: hulyhuri@gmail.com

Reisezeit
Hauptsaison: Januar bis März (21–28 Grad). Tapati-Kulturfestival vom 1. 2. bis 13. 2. 2009 (sehr großer Andrang). Nebensaison: März bis August (milde Regenzeit).

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