ANALYSE: Ungarn will bessere Konditionen von IWF und EU

Wahlsieger Orbán schickt den künftigen Außenminister vor.

BUDAPEST/WIEN. Acht Jahre Opposition haben Viktor Orbán Geduld gelehrt. Ungarns Ministerpräsident der Jahrtausendwende will seine Rückkehr an die Macht nicht präjudizieren, bevor sich beim zweiten Durchgang der Parlamentswahlen am 25. April herausstellt, ob seine einstige Jugendpartei Fidesz (Bund Junger Demokraten) die Zweidrittelmehrheit erringt.

In einem einzigen Punkt hat Orbán die Weichen gestellt: Er hat seinen damaligen Außenminister János Martonyi wieder für dieses Amt nominiert. Und dessen geradezu legendären „diplomatischen“ Fähigkeiten auch gleich in Anspruch genommen: Martonyi gab der Nachrichtenagentur Reuters ein Interview, in dem er über die Vereinbarung Ungarns mit dem IWF und der EU sinnierte, die im Oktober 2008 zur Finanzhilfe von rund 20 Mrd. Euro führte: „Wir müssen über die gegenwärtige Vereinbarung und die exakte Situation ... sprechen“, sagte der künftige Chefdiplomat. Und das schnell, bevor die Vereinbarung im Oktober auslaufe. EU und IWF müssten das Fidesz-Ziel der Wirtschaftsbelebung berücksichtigen.

Ringen um bessere Bedingungen

Damit ist die Katze aus dem Sack: Die künftige Fidesz-Regierung wünscht sich bessere Bedingungen, als sie die sozialistischen Vorgänger hatten – beispielsweise längere Fristen bei den gewährten Krediten. Übergangspremier Gordon Bajnai hatte nach dem Abgang von Ferenc Gyurcsány die Vorgaben von IWF und EU bei der „Überlebenshilfe“ einfach hingenommen.

Erst im Februar meinte Banjais Finanzminister Péter Oszkó, die Regierung werde die noch ausständigen Raten des Kreditrahmens nicht beanspruchen. Das war die Antwort auf lobende Feststellungen von Delegationen der beiden Institutionen. James Morsink hatte namens des IWF festgehalten, dass es Ungarn „bei Beibehaltung der eingeschlagenen Richtung“ schaffen werde, die Staatsverschuldung von mehr als 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 65 Prozent zu drücken. Dass Oszkó postwendend meinte, dann könnte ja Budapest das Budgetdefizit von 3,8 Prozent des BIP überziehen, war Morsink und EU-Delegationsleiterin Barbara Kauffmann weniger recht.

Das Defizit erreicht übrigens mit Ende April vier Fünftel der fürs ganze Jahr prognostizierten Summe von 879 Mrd. Forint (3,34 Mrd. Euro). Oszkó meint, das liege an der „Saisonalität“, etwa Zinszahlungen, Krankenhaussubventionen und der Stützung für die Staatsbahnen MÁV, die alle zu Jahresbeginn ausgezahlt worden seien. Gleichzeitig sieht der Minister in den Staatsbetrieben die größte Gefahr fürs Budget. Die aus russischem Eigentum zurückgekaufte Fluggesellschaft Malév sei eine „schwarze Box“: Man wisse nicht, wie viel die Sanierung kosten werde.

All diese Unwägbarkeiten sind Grund genug für Orbán, sich öffentlich in Fragen des wirtschaftlichen Überlebens zurückzuhalten. Aber EU und IWF musste der Wunsch nach besseren Bedingungen rechtzeitig zu Ohren kommen. Ähnliches hat auch der potenzielle neue Wirtschaftsminister György Matolcsy schon gemeint. Aber Martonyi sagt es diplomatischer: „Wir sind völlig offen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2010)

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