Wieso das Gehirn auf den Schlaf nicht verzichten kann

Der Sinn des Schlafs war lang ein Rätsel.
Der Sinn des Schlafs war lang ein Rätsel.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Sinn des Schlafs war lang ein Rätsel. Nun bieten gleich zwei Forschergruppen je eine Erklärung an: Schäden in der DNA der Neuronen müssen repariert werden, und Abfallstoffe müssen aus dem Hirn gepumpt werden. Beides geht im Tiefschlaf besser.

Wir verschlafen gut ein Drittel unseres Lebens. Warum, weshalb, wozu? Der Schlaf bringt klare Nachteile. Er legt uns lahm, macht uns wehrlos. Umso erstaunlicher, dass die Biologen sich bis heute auf keine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Schlafes einigen können.

Schlafen denn alle Tiere? Jedenfalls alle mit einem Nervensystem. Wirbeltiere sowieso, aber auch Fliegen, Fadenwürmer und sogar Quallen. Der Schlaf dient offensichtlich vor allem dem Nervensystem. Im Schlaf werden etwa Gedächtnisinhalte verfestigt.

Israelische Hirnforscher um Lior Appelbaum schlagen nun in Nature Communications (5. 3.) eine grundlegendere Rolle des Schlafes vor, basierend auf einer Fülle von Experimenten an Zebrafischen. Diese haben u. a. den Vorteil, dass sie als Larven durchsichtig sind, sodass man ihnen in alle Zellen schauen kann. Die erste Überraschung bei diesen Einblicken: Wenn die Fische schlafen, sind ihre Körper ruhiger als im Wachzustand, aber die Chromosomen in den Zellkernen ihrer Neuronen bewegen sich schneller. Diese schnellere Bewegung kann man sogar als Indiz dafür nehmen, dass eine Zelle im Schlafzustand ist. Sie hat einen wichtigen Zweck: Sie fördert die Reparatur der DNA, vor allem von gefährlichen Doppelstrangbrüchen, bei denen an einer Stelle beide Stränge der Doppelhelix gerissen sind.

Solche Schäden sammeln sich im Wachzustand unweigerlich an, begünstigt durch reaktive Moleküle (etwa die berüchtigten Sauerstoffradikale oder die aromatischen Verbindungen im Tabakrauch) und ionisierende Strahlung. Aber auch – in Neuronen – durch neuronale Aktivität. Überspitzt gesagt: Denken schadet der DNA. Diese Schäden können im Schlaf repariert werden. Appelbaum vergleicht das mit Reparaturarbeiten an einer Straße, die am besten erledigt werden können, wenn das Verkehrsaufkommen gering ist (der Vergleich hapert ein bisschen: Straßen können nicht besser repariert werden, wenn sie sich schnell bewegen. Das tun sie im Normalfall gar nicht). Dieser Mechanismus könne erklären, warum Schlafentzug tödlich sein kann.

Einen Haken hat die neue Theorie: Es mag sein, dass einzelne Neuronen im Schlaf weniger aktiv sind. Aber die gesamte Hirnaktivität ist im Schlaf nicht viel niedriger als im Wachzustand, auch bei Fischen. Bei diesen kann man übrigens bisher nicht – wie bei Menschen und anderen Säugetieren – zwischen unruhigerem REM-Schlaf und ruhigerem Non-REM-Schlaf unterscheiden.

Deltawellen fördern die Müllabfuhr

Die Frage liegt nahe: Findet bei uns die beschleunigte Bewegung der Chromosomen – wenn sie überhaupt stattfindet – bevorzugt im Non-REM-Schlaf statt? Und ist dieser die ältere Form des Schlafs? Hat sich der REM-Schlaf mit seinen wilden Träumen in der Evolution erst sekundär dazugesellt?

Die Erholung, die der Schlaf unserem Hirn gönnt, findet vor allem in den Non-REM–Phasen statt. Dafür spricht auch eine in Science Advances (27. 2.) erschienene Arbeit von Neuromedizinern um Maiken Nedergaard (Rochester), die 2012 eine ganz eigene Form der Abfallentsorgung im Gehirn entdeckt hat: das glymphatische System. Liquor cerebrospinalis („Hirnwasser“) wird durch die Zellzwischenräume gepumpt und dann per Lymphe und Blut entsorgt. Dieses System ist vor allem im Schlaf aktiv, aber auch, wenn das Hirn anästhetisiert wird.

Experimente an Mäusen zeigten nun, dass eine Kombination aus dem Narkosemittel Ketamin und dem Beruhigungsmittel Xylazin am besten das für den tiefen, traumlosen Non-REM-Schlaf typische Muster der Hirnaktivität hervorruft: die Deltawellen. Zudem korrelieren diese langsamen Wellen offenbar mit der Aktivität des glymphatischen Systems. Es scheint, dass sie es sind, die via Neurochemie den Liquor cerebrospinalis durchs Hirn pumpen. Schlafstörungen beeinträchtigen jedenfalls den Abtransport von Abfällen aus dem Hirn. Auch der Ablagerungen, die Alzheimer und andere neurodegenerative Erkrankungen hervorrufen – ein weiterer Grund dafür, dass diese oft mit Schlafmangel einhergehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2019)

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