Ratzinger – Küng: Getrennte Zwillinge

Zwei symptomatische Karrieren für die letzten fünf Jahrzehnte der Kirche.

Rom (p.k.). Wo Joseph Ratzinger, da Hans Küng. Die so unterschiedlichen Karrieren der praktisch gleichaltrigen Spitzentheologen sind symptomatisch für die Entwicklung der katholischen Kirche in den vergangenen fünfzig Jahren.

Ratzinger und Küng, blitzgescheite Jungstars der Theologie, galten beim Zweiten Vatikanischen Konzil als intellektuelle Motoren der Kirchenreform. Küng holte Ratzinger sogar als Professor zu sich nach Tübingen. Doch 1968 trennten sich ihre Wege. Küng fand, die Modernisierung der Kirche sei ins Stocken geraten, Rom falle in vorkonziliar-autoritäre Machtstrukturen zurück. Ratzinger dagegen schloss sich immer enger an die Institution an. Es war die Studentenrevolte, die bei Küng ein Verlangen nach radikalerer Fortsetzung der Modernisierung – und beim schüchternen Ratzinger Angst vor Chaos auslöste.

Wegen seiner Kritik an der Unfehlbarkeit verlor Küng 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis; Ratzinger wurde zur selben Zeit Kardinal und, 1981, oberster Glaubenshüter. Küng bekam damit die Welt so polarisiert, wie er sie ohnehin sah: dort der karrieresüchtige Wendehals, hier der schweizerisch Unbeugsame und wissenschaftlich Redliche. Von da an ließ Küng keine Gelegenheit aus, gegen den „Großinquisitor“ zu wettern. Beide wussten, dass „Großinquisitor“ mehr ist als die Steigerung von „Inquisitor“. Dostojewskis Kirchenführer treibt Jesus aus der Kirche hinaus nach dem Motto: Du störst uns bei der Arbeit; wörtlich sagt er zu Jesus: „Morgen lasse ich dich hinrichten.“

Trotzdem: Im Juli 2005, gerade Papst geworden, ging Ratzinger in einem spektakulären Schritt auf Küng zu: Er lud ihn zum Gespräch. Vier Stunden saßen sie zusammen, „freundschaftlich“, wie Küng bis heute betont. Ohne Folgen.

Nun meldet sich Küng am fünften Jahrestag von Ratzingers Papstwahl zu Wort: mit einem offenen Brief an die Bischöfe der Welt. Er sieht in Benedikts Pontifikat eine Summe „verpasster Gelegenheiten“ und drängt die Bischöfe zum Druck auf diesen Papst, zum Ungehorsam. Küng selber ist nie Bischof geworden. Seinen Anfängen nach hätte er es weit bringen können – so wie Ratzinger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2010)

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