Transformation eines Raubtiers: Ein Jaguar wird zum Vegetarier

Heidrun Henke
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Wenn wir an der Schwelle zur Elektromobilität stehen – was bedeutet dies für die Fachkräfte und Spezialisten von morgen? Ein Beispiel für frühe und praxistaugliche Vorbereitung liefert die bemerkenswerte Transplantation eines ehrwürdigen Zwölfzylinders: Sakrileg oder Wette auf die Zukunft?

Die XJ-Baureihe – jahrzehntelang der Stolz von Jaguar: eine elegante Luxuslimousine, fast fünf Meter lang, stattlich wie ein englisches Herrenhaus. Und ein Auto, das aus seinen Trinkgewohnheiten nie ein Hehl gemacht hat: Zu den markanten Details der Karosserie zählen gleich zwei Tankklappen, über die sich insgesamt mehr als 90 Liter Sprit bunkern lassen, die hat man speziell mit dem Zwölfzylinder gebraucht, um nicht an jeder dritten Tankstelle halten zu müssen. Zwei Tankuhren im holzgetäfelten Cockpit geben Auskunft über die rasch schwindenden Treibstoffvorräte.

Heute gibt es keine Zwölfzylinder mehr bei Jaguar, dafür aber ein Elektroauto, den I-Pace, der bei Magna in Graz gebaut wird und die Marke in die neuen Zeiten führen soll. Kommt es nicht doch noch anders, stehen wir an der Kippe zur Elektromobilität.

Eher kein erhebender Anblick für Benzinbrüder: Komponenten für den E-Antrieb.
Eher kein erhebender Anblick für Benzinbrüder: Komponenten für den E-Antrieb. Henke


Werkzeugkisten vergessen. In Ottensheim bei Linz stoßen die beiden Epochen, die fossile und die elektrische, ziemlich unvermittelt aufeinander. Hier steht ein XJ, der unter seine beiden Tankdeckeln Stromanschlüsse darbietet, und wo einmal ein Zwölfzylinder den Motorraum gefüllt hat, sieht es aus, als hätte jemand Werkzeugkisten vergessen. So viel lässt sich jetzt schon über die neuen Zeiten sagen: Fürs Auge gibt Elektroantrieb nicht viel her.

Aber das kann man freilich Verbrennerromantik oder Oktannostalgie nennen – Manuel, 21, und Alexander, 20, vermag es jedenfalls nicht zu erweichen. Das Traumauto der beiden heißt Tesla.

Die beiden Oberösterreicher sind Absolventen der Linzer HTL, Fachrichtung Elektrotechnik, und an der Transformation des Jaguars durften sie ihre Talente für ihr bevorstehendes Berufsleben schärfen, von dem sie nur noch ein paar Monate Zivildienst und die Kleinigkeit eines Studiums trennen. Das Projekt geht auf einen HTL-Lehrer zurück, der die Idee hatte, seine Schüler ein Auto umrüsten zu lassen, und die Sache wäre im Grunde auch schon wieder begraben worden, als er das der Schule zur Verfügung stehende Budget ausgelotet hat. Da ergab sich aber der Kontakt zu einem gewissen Mario, der in einem Gewerbepark bei Linz wundersame Umbauten vornimmt – ein Mann, der Autos von ihrem größten Laster heilt, dem Verbrennen von fossilen Kraftstoffen.

Und wie es der Zufall wollte, hatte Mario gerade einen alten Jaguar angeschafft, dem die Operation noch bevorstand. „Wir sind zu fünft gekommen und haben gefragt, ob wir für unsere Diplomarbeit mithelfen dürften“, erzählt Manuel. Und Mario erklärte, dass er für jeden Blödsinn zu haben wäre. Also ja.

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OP-Kittel. Im Frühjahr 2017 begannen die Arbeiten – zunächst nicht am Fahrzeug, sondern fundamentaler: An einer stilgerechten Ladesäule. Von einer aufgelassenen Mobiltankstelle wurde eine Zapfsäule erworben und die Burschen mussten arrangieren, dass sie fürderhin Strom statt Mineralöl abgeben würde. Mit dem bloßen Austauschen von Leitungen war es nicht getan, denn das hübsche mechanische Zählwerk der Zapfsäule sollte weiterhin funktionieren, nur eben Kilowattstunden statt Liter anzeigen. Das elektronische Ansteuern der analogen Anzeigen wurde zu einem anspruchsvollen Teil der Diplomarbeit, das Projekt Tankstelle sollte ein halbes Jahr dauern.

In der Zwischenzeit zog Mario Reitermayr den OP-Kittel über. Der 42-Jährige arbeitete als Mechatroniker in der Prozessleittechnik bei der Voest in Linz, bis er vor drei Jahren sein Hobby zum Beruf und sich selbstständig machte. Da hatte er schon mehrere Fahrzeuge auf zwei und vier Rädern elektrifiziert. Eine Honda VFR, die ihm heute Motorradfahren ermöglicht, obwohl er keinen A-Schein besitzt, da ihre elektrische Dauerleistung im gesetzlichen Rahmen bleibt (anders als die deutlich zünftigere Nennleistung). Ein Puch Maxi, das Mario nach dem Umbau beim ersten Gasgeben mit einem Wheelie vom Sattel warf. Einen Ford Focus und einen Porsche 911, beide günstig mit Motorschaden erworben und danach mit E-Antrieb in Dienst gestellt („Meine Frau war seit Jahren auf keiner Tankstelle mehr!“). Ein VW Touran. Ein Land Rover Defender, der sich als bislang schwierigster Patient erwies („Einfach keine effiziente Gesamtkonstruktion“). Vor Marios Betrieb wartet ein weißer VW Käfer, dem auch noch auf die Sprünge geholfen werden soll, obwohl – oder weil – diesen ein anderer umgerüstet hatte.

Dann musste es ein Jaguar sein. Ein 85er V12 Sovereign, ein Fahrzeug mit Stil und Klasse – bloß bislang mit dem falschen Antrieb. Der imposante Zwölfzylinder mit 5,3 Liter Hubraum blieb gleich beim Händler, der sich das Stück als Skulptur in den Garten stellte. Segen der alten Maschine, so Mario: „Das viele Öl im Motorraum konservierte hervorragend – der ganze Vorderwagen war rostfrei.“

Dort hat sich nun Platz für einen 120-Volt-Elektromotor gefunden, der direkt auf die im Ölbad mahlende Dreigangautomatik des Jaguar wirkt. Ein heikles Manöver, denn anders als beim Verbrennungsmotor gibt es bei E-Antrieb keine ständig rotierende Antriebswelle, die das Getriebe auch ohne Last bei Laune hält. Dergleichen ließ sich auch nur mit einem Getriebe der alten, "analogen" Schule realisieren - bei heutigen Automaten würde die Elektronik Sturm laufen.

Bei Gelegenheit möchte Mario schauen, wie das ganze ohne Wandler funktioniert, denn auf eine Übersetzung ist gerade ein E-Motor nicht angewiesen (mit Ausnahmen, etwa Anhängerbetrieb). Den verbleibenden Raum füllte Mario mit Akkus und Leistungselektronik, ein paar Akkus sind im Heck verstaut. 56 Kilowattstunden Speicherkapazität ergibt das insgesamt. Der XJ wurde 100 kg leichter, das meiste vorn. 75 Kilowatt Spitzenleistung sind zwar markant weniger als die gut 300 PS, die der V12 entfacht hat, aber für würdevolle Fortbewegung reicht es allemal, wir haben uns auf einer Ausfahrt überzeugt.

Wo bekommt man eigentlich Akkus her, die als Traktionsbatterie taugen? Aus dem Geschäft jedenfalls nicht. Mario hat sie aus Unfallautos, zum Beispiel BMW i3 oder Tesla. Die Szene der Umrüster ist klein, aber verschworen, eine Gesinnungsgemeinschaft, in der man sich unterstützt. Und es gibt ein Business. Auch die oberösterreichische Firma Kreisel hat in einer Garage begonnen, wie Mario, heute hat sie 80 Mitarbeiter und ist einer der ersten Adressen für Umbauten und große Hersteller, die Komponenten und Know-how brauchen.

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Zurück zu den Fünf aus der HTL, die sich ihr Diplom noch verdienen müssen. Nach der Tankstelle sollten auch alle analogen Anzeigen im Jaguar wiederbelebt werden, und tatsächlich: Motordrehzahl, Spannung, Energiemenge in den Tankuhren: Überall schlagen Zeiger aus in beleuchteten Rundinstrumenten wie in den alten Tagen. 1600 Arbeitsstunden steckten die Burschen in die Arbeit, praktisch alles außerhalb der Schulzeit. Für die HTL ist der Stromjaguar ein Vorzeigeprojekt. Für Mario eine Wette auf die Zukunft: „Welcher alte Jaguar wird in 20 Jahren noch in Städten fahren dürfen?“ Für ihn ist der Verbrennungsmotor am Ende, schlicht da die Technologie ausgereizt sei: „Da geht nichts mehr.“ Wovon er träumt: Batterierecycling. Ein wunder Punkt in der heutigen Elektroeuphorie, denn es gibt praktisch keines für diese Art von Batterien. Mario hätte schon ein paar Ideen. Man wird sie in den neuen Zeiten auch brauchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2019)

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