Der Trümmerhaufen der ungarischen Sozialisten

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Den Sozialisten wird von vielen Wählern auch die Verantwortung für die seit Jahren währende „moralische Krise” im Land gegeben. Nach Verlust von 133 Mandaten tritt Mesterházy schweres Erbe an.

Budapest. Dass es in der Politik schnell bergab gehen kann, zeigt dieser Tage eindrücklich das Beispiel der ungarischen Sozialisten (MSZP). War die Partei vor vier Jahren noch strahlender Sieger bei den Parlamentswahlen, steht sie heute vor dem Trümmerhaufen ihrer Regierungszeit. Besonders anschaulich lässt sich ihr Absturz an der neuen Mandatsverteilung im 386-köpfigen Parlament ablesen: Hatte die Partei bisher 192 Abgeordnetensitze, werden es in den kommenden vier Jahren nur noch 59 sein. Die konservative Partei Fidesz des siegreichen Viktor Orbán wird nicht weniger als 263 Parlamentsmandate haben.

Grund für das verheerende Wahlergebnis der Sozialisten ist die Konkursmasse, die sie nach insgesamt acht Regierungsjahren hinterlassen. Sie scheiterten nicht nur an ihren eigenen hochtrabenden Reformvorhaben. Sie hatten auch maßgeblichen Anteil daran, dass das Land zu Beginn der Weltwirtschaftskrise im Herbst 2008 an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geriet. Dem Staatsbankrott konnte Ungarn damals nur durch einen Euro-Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds entgehen.

„Wir haben die letzten Jahre gelogen“

Den Sozialisten wird von vielen Wählern auch die Verantwortung für die seit Jahren währende „moralische Krise” im Land gegeben. Im Zentrum der Kritik: Ex-Regierungschef Ferenc Gyurcsány (2004-2009). Zur Erinnerung: Im Herbst 2006 wurde Gyurcsánys berüchtigte „Lügenrede” publik. Noch heute hallen seine Worte in den Ohren vieler Ungarn wider: „Wir haben die vergangenen eineinhalb, zwei Jahre gelogen.“

Im politischen Leben Ungarns markierte Gyurcsánys Skandalrede damals einen Wendepunkt: Der Niedergang der Sozialisten nahm seinen Anfang; außerdem entstand eine giftige politische Atmosphäre, die den Nährboden für den Aufstieg der zwei Anti-Establishment-Parteien, der rechtsextremen Partei Jobbik („Für ein besseres Ungarn”) und der Grünpartei LMP („Eine andere Politik ist möglich”), schuf.

Die Sozialisten wurden in den vergangenen Jahren auch von zahlreichen Korruptionsaffären erschüttert. Zudem trägt die MSZP als Nachfolgeorganisation der KP-Staatspartei in den Augen vieler noch immer den Ruch des Kommunismus an sich.

Plant Gyurcsány sein Comeback?

Angesichts des politischen Scherbenhaufens, vor dem die Sozialisten heute stehen, ist ein politischer Neuanfang unumgänglich. Erste Anzeichen für Veränderungen gab es schon in der Wahlnacht am Sonntag. MSZP-Parteichefin Ildikó Lendvai kündigte prompt ihren Rücktritt an. Nachfolger wird voraussichtlich Attila Mesterházy, Spitzenkandidat der Sozialisten bei der Parlamentswahl. Er konnte seine Position in der Partei in den vergangenen Monaten zwar festigen, ist aber nicht unumstritten.

Mit scharfem Gegenwind muss der 35-Jährige vor allem aus dem Lager um Ex-Regierungschef Ferenc Gyurcsány rechnen. Gyurcsány, der bei den Sozialisten einst als Hoffnungsträger gefeiert wurde, hat trotz seiner Misserfolge in der Regierung noch immer zahlreiche Gefolgsleute in der Partei. Obendrein ist er unter den linken Wählern äußerst populär. Einzelne Beobachter wollen sogar wissen, dass Gyurcsány im Hintergrund bereits eifrig daran arbeitet, an die Spitze der Sozialisten zurückzukehren.

Sollte an diesem Gerücht etwas dran sein, sind ein Bruderkrieg zwischen Mesterházy und Gyurcsány und selbst die Spaltung der Sozialisten nicht auszuschließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2010)

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